Verrat und Verführung
das ihre Widerstandskraft endgültig besiegte, entdeckte Christina auch eine ungewöhnliche Sanftmut.
In kürzester Zeit verwandelte sich die tugendhafte Miss Atherton, die alle Annäherungsversuche der glühenden jungen Verehrer aus der Nachbarschaft kühl und gleichmütig abgewehrt hatte, in eine Frau, die vor wilder Leidenschaft brannte, für die das Verlangen eines ganz bestimmen Mannes und seine Bewunderung plötzlich der einzige Inhalt ihres Daseins geworden war.
Schließlich hob Simon den Kopf und rückte ein wenig von ihr ab. Eine Hand auf ihrem Busen, spürte er ihre Herzschläge, die sich allmählich verlangsamten. Noch immer wirkte ihr Körper weich und schmiegsam, Leidenschaft verschleierte ihre Augen. Einige Sekunden lang war es still ringsum.
Und dann, plötzlich, spürte er, wie Christinas Herz zu rasen begann und sie sich versteifte. Da wusste er, dass ihre Erinnerung zurückkehrte, offenbar von einer vernichtenden Erkenntnis begleitet.
Hastig stieß sie Lord Rockleys Hand beiseite und schloss das Oberteil ihres Kleides. Was habe ich getan? fragte sie sich entsetzt. Welcher Wahnsinn hatte sie überwältigt, um sie zu einem Verhalten zu verleiten, das ihr völlig wider die Natur ging? Wieso war sie so dumm gewesen? Tiefe Scham und qualvolle Schuldgefühle schnürten ihr die Kehle zu. Hatte sie ihre Lektion nicht gelernt, dank der Bekanntschaft mit Mark Buckley? Bisher war sie dem niederträchtigen Straßenräuber entronnen. O ja, sie hatte ihre Freiheit gerettet.
Zumindest hatte sie sich das immer wieder eingeredet und es eines Tages beinahe geglaubt. Bis sie Lord Rockley begegnet war.
Was mochte den Mann befähigen, sie dermaßen gefügig zu machen? Gewiss, er sah großartig aus, das konnte niemand bestreiten. Doch zudem hatte er eine starke männliche Persönlichkeit, die sie machtvoll zu ihm hinzog. Und so hatte sie sich gestattet, bedenkenlos in seine Arme zu sinken. Im Grunde war er ein Fremder. Und sie hatte ihm erlaubt, sie zu berühren und zu küssen. Schlimmer noch – in vollen Zügen hatte sie es genossen, in seinen Liebkosungen geradezu geschwelgt. In jenen Momenten war nichts anderes wichtig gewesen.
Noch nie im Leben hatte sie so etwas empfunden. Als wäre ihr Körper nur noch von Gefühlen beherrscht worden, von einer wilden Sehnsucht … Was sie soeben getan hatte, erschwerte ihre bedrückende Lage noch zusätzlich.
Ohne Lord Rockley anzuschauen, wich sie vor ihm zurück, auch wenn es ihr schwerfiel. Aber sie klammerte sich tapfer an ihre Selbstkontrolle. „Das hätte nicht geschehen dürfen. Nun sollten wir zum Haus reiten.“
„Meine Süße …“
Mit einer knappen Geste brachte sie ihn zum Schweigen und beobachtete ihn argwöhnisch. Halb und halb erwartete sie, er würde sich auf sie stürzen und ihr die Kleider vom Leib reißen.
„Bitte, Sir … sagt nichts mehr!“, platzte sie heraus. „Und ich bin nicht Eure Süße. Nie wieder werdet Ihr mich so nennen. Zweifellos habt Ihr mit Eurem umwerfenden Charme schon viele Frauen ihrer Tugend beraubt. Ich hoffe nur, ich bin jetzt nicht das Opfer einer hinterlistigen Intrige, die Ihr ausgeheckt habt.“
„Sorgt Euch nicht. Niemals würde ich mit Eurem Herzen spielen.“
Behutsam strich Simon ihr über die Wange. Zu seiner Erleichterung zuckte sie nicht zurück. Ihre Haut fühlte sich warm und weich an, und er wollte viel mehr von ihr spüren. Aber sie würde es nicht zulassen, und er würde sich ihr nicht aufzwingen. Bei dieser Selbstverleugnung empfand er einen bittersüßen Triumph. Nur ganz selten verzichtete er auf die Reize einer Frau.
„Fürchtet Ihr Euch vor mir, Christina?“, fragte er leise und vorsichtig. Nach all den Küssen glaubte er, eine neue Vertrautheit würde ihn dazu berechtigen, ihren Vornamen auszusprechen.
„Nein, natürlich nicht. Ihr scheint jedoch zu vergessen, dass Ihr unser Gast auf Oakbridge seid, Lord Rockley, und Ihr nehmt Euch zu viele Freiheiten heraus“, tadelte sie ihn, um ihre Verwirrung zu überspielen, die aufgewühlten Emotionen, die wieder außer Kontrolle zu geraten drohten. „Hier dürfte ich nicht mit Euch allein sein. Ich hätte es besser wissen und das verhindern müssen. Jenen Moment werden wir aus unseren Gedanken verbannen und nie mehr darüber reden.“
„Also gut, wir werden nie mehr darüber reden – wenn das Euer Wunsch ist. Alles wird so sein wie vor unseren Küssen. Aber falls Ihr glaubt, Ihr könntet jemals vergessen, was zwischen uns geschah, seid Ihr eine
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