Verrat und Verführung
Mark Buckleys brutalen Versuch, ihr Gewalt anzutun, glaubte seine widerwärtigen Hände auf ihrer Haut zu spüren. So erleichtert war sie gewesen, als Simon Rockley das Zimmer betrat, um das Schlimmste zu verhindern. Und dann so verzweifelt, denn er missverstand, was er gesehen hatte …
Als Lord Rockley endlich auf Oakbridge eintraf, ganz in Schwarz gekleidet, war die Dunkelheit hereingebrochen. Seine Anwesenheit würde zu ernsthaften Konsequenzen für ihren Bruder und sie führen. Daran zweifelte Christina keine Sekunde lang.
Durch das Fenster ihres Schlafzimmers beobachtete sie, wie er die Eingangsstufen heraufstieg. Da es ihr widerstrebte, ihm sofort zu begegnen, setzte sie sich auf ihr Bett und wartete, bis er sie rufen lassen würde.
Allzu lange musste sie nicht warten. Sobald sie das Wohnzimmer im Erdgeschoss betrat, erkannte sie, dass ihr Dienstmädchen nicht gelogen hatte. Tatsächlich, Seine Lordschaft befand sich in einer sehr bedrohlichen Stimmung.
Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, stand Simon am Fenster und schaute in den Hof hinaus. Nachdem Christina die Tür hinter sich geschlossen hatte, drehte er sich nicht um. „Buckley ist uns entwischt. Sicher seid Ihr deshalb überglücklich, Miss Atherton. Aber wohin immer er geflohen ist – seine verbrecherische Laufbahn hat ein Ende gefunden. Nun könnt Ihr Euch, ebenso wie Euer Bruder, von allen zwielichtigen Machenschaften verabschieden, die Ihr gemeinsam mit dem verdammten Kerl ausgeheckt hattet. Man teilte mir mit, Lord Atherton sei nicht daheim. Stimmt das?“
„Ja“, bestätigte Christina leise.
„Wo ist er?“
„Keine Ahnung“, antwortete sie wahrheitsgemäß.
„Ich finde seine Abwesenheit ärgerlich und ziemlich seltsam. Was ist das für ein Mann, der seine Schwester die Drecksarbeit erledigen lässt? Wegen seines unbesonnenen Verhaltens wurdet Ihr beinahe ruiniert. Und nun, wo ihn dieser schlimme Verdacht belastet, sollt Ihr den Kopf für ihn hinhalten. Während er sich irgendwo verkriecht, ein feiger, rückgratloser Schwächling!“
„Da muss ich ganz entschieden widersprechen …“, begann Christina empört.
„Widersprecht, solange Ihr wollt!“, unterbrach er sie schroff. „Wenn ich jemandem eine Anweisung gebe, erwarte ich, dass sie befolgt wird. Und ich sagte ausdrücklich, ich wünsche Euren Bruder zu sprechen.“
Vor ein paar Stunden hätte er sie mit diesem Wortschwall eingeschüchtert. Aber nach allem, was inzwischen geschehen war, geriet sie in hellen Zorn. „Jetzt seid Ihr nicht mehr beim Militär, Lord Rockley.“ Obwohl er sie ersucht hatte, ihn mit seinem Vornamen anzusprechen, bevorzugte sie die förmliche Anrede. „Mein Bruder und ich sind nicht Eure Untergebenen. Wenn Ihr kein zivilisiertes Gespräch mit mir führen könnt, möchte ich in mein Zimmer zurückkehren.“
Da fuhr Simon zu ihr herum, Eiseskälte im Blick. „Überlegt Euch gut, was Ihr sagt, Miss Atherton! Und lasst Euch nicht von der Sanftmut täuschen, die ich Euch vor einiger Zeit zeigte!“
„Sanftmut?“, zischte sie. „Das ist wohl etwas untertrieben ausgedrückt. Lebhaft genug entsinne ich mich, wie heiß Ihr mich begehrt habt. Und ich war fast bereit, mich Euch hinzugeben, ohne Scham oder Reue – Euch zu gestatten, mich zu lieben. Plötzlich war mir so sonderbar zumute – als würde ich nicht mehr mir selbst gehören … Warum starrt Ihr mich so an, Sir? Fürchtet Ihr mich – oder die Gefühle, die ich in Euch wecke?“
„Nein“, entgegnete er und schaute ihr in die Augen. „Weder Euch noch Eure Schmeicheleien fürchte ich. Glaubt Ihr wirklich, Ihr könnt mich mit verführerischen Worten betören? So aalglatt kommen Sie Euch über die Lippen, dass man verrückt sein müsste, um sie ernst zu nehmen.“
Trotz Ihres Entschlusses, ihr Temperament zu zügeln, sah sie sich auf unerträgliche Weise provoziert. Ihre Empfindungen verschmäht und verunglimpft zu finden – das verletzte sie über alle Maßen. Bei jenem morgendlichen Spaziergang hatte sie zu viel gewagt. Ohne Vorwarnung war ihr Herz hoffnungslos gefangen worden. Diese hypnotischen silbergrauen Augen übten eine geradezu unheimliche Macht aus. Wenn sie hineinblickte, wurden nicht nur ihr Knie weich … Sogar ihren Verstand, ihre Willenskraft hatte sie verloren.
Jetzt erkannte Christina, wie dumm es gewesen war, ihre inneren Verteidigungsbastionen niederzureißen. So schnell hatte Simon sich von ihr losgesagt und sie beschuldigt, sie sei Mark Buckleys Geliebte. So
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