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Verraten

Verraten

Titel: Verraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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Arm im Anschlag hielt.
    Oben befand sich ein Zwischenflur, wo die Treppe eine Kehre beschrieb. Es war ein hoher Raum mit großen, schmalen Fenstern, deren Riffelstruktur sie undurchsichtig machte. Er stand jetzt mitten im Lichtschein einer Glühbirne, die von der Dielendecke baumelte.
    Er hielt den Lauf der HK stets in Blickrichtung. Ein Automatismus, den er sich im Laufe der Zeit angewöhnt hatte und den alle Auszubildenden bei Militär, Polizei und ähnlichen Institutionen erlernten. Richte deine Waffe dorthin, wo du hinschaust, damit gewinnst du mindestens eine Sekunde an Reaktionszeit. Eine Sekunde, die den Unterschied zwischen töten und getötet werden bedeuten kann.
    Vorsichtig schlich er weiter hinauf.
    Nachdem er einige lange Minuten in höchster Konzentration abgewartet hatte, gelangte er schließlich auf den oberen Treppenabsatz. Vor ihm lag ein ähnlicher Flur wie im unteren Stockwerk. Dasselbe halb verrottete Linoleum. Mehrere Türen rechts und links.
    Er trat vor die erste. Lauschte. Nichts. Ging weiter zur zweiten. Hörte jetzt gedämpfte Stimmen aus einem Raum am Ende des Ganges, wo eine Tür offen stand. Er richtete seine ganze Aufmerksamkeit darauf. Trat einen Schritt nach vorn.
    Plötzlich spürte er irgendetwas hinter sich. Einen Luftzug. Er wollte sich umdrehen, aber ein plötzlicher stechender, lähmender Schmerz im Rücken hinderte ihn daran. Im nächsten Moment lag er auf dem Boden. Es gelang ihm, in einer blitzschnellen Drehung des Oberkörpers seine HK unter sich hervorzuziehen und zu schießen. Der Schuss dröhnte durch das ganze Haus. Johnnys Gesicht verwandelte sich in eine verzerrte, surrealistische rote Skulptur, und sein Körper prallte leblos gegen die Wand. Sank langsam zu Boden, wie in Zeitlupe, eine rote Schmierspur auf der Holzverkleidung hinterlassend. Ein Baseballschläger fiel klappernd zu Boden und rollte in die Mitte des Flures. Der Krach löste einen enormen Aufruhr aus. Stimmengewirr. Leute kamen angerannt. Schwere Schritte. Fluchen. Er versuchte sich aufzurappeln und so schnell wie möglich abzuhauen, aber sein Rücken versagte ihm den Dienst und hielt ihn eine Sekunde zu lang am Boden gefesselt. Ein Fuß wurde auf sein Handgelenk gesetzt. Er musste seine Waffe loslassen, konnte sie nicht länger festhalten. Schräg über ihm erschien das Gesicht des Halslosen, danach ein weiteres Gesicht, ein weißes Oval mit angsterfüllten Augen. Hase, stellte er gottergeben fest. Er hörte Schritte. Ein Mann gesellte sich dazu, den er bisher noch nicht kannte. Er hätte ein Bruder des hirnlosen Betonhalses sein können, den er in Rotterdam fertiggemacht hatte. Derselbe viereckige Schädel. Nur noch viel hässlicher, entstellt durch Aknenarben. Aber nicht halb so dämlich. Aus dem pockennarbigen Gesicht blickten ihn intelligente, hellblaue Augen an. Er ließ den Kopf zurück auf das Linoleum sinken.
    Er merkte, dass er die Besinnung verlor. Das Fischgrätmuster begann, seltsame Wellen und Kreise zu bilden, und schon bald schaukelte der ganze Fußboden, über den er ein Paar weiße Nikes angerannt kommen sah. Als schwebten sie. Große Füße, mindestens Größe fünfundvierzig, die unter einer schwarzen Trainingshose hervorschauten. Sein Gehirn schrie ihm zu, sich zusammenzureißen und aufzustehen, weg von der Gefahr, und es schüttete hilfreiches Adrenalin aus. Er unternahm einen letzten Versuch, hochzukommen, wurde jedoch im nächsten Moment von einem Linienbus gerammt, der aus unerfindlichen Gründen mit Vollgas durch den Flur donnerte.
    In einem hell erleuchteten Raum kam er wieder zu sich. Es dauerte eine Weile, bis er erkannte, dass keine blendende Sonne über ihm stand, sondern dass das grelle Licht von einer Deckenleuchte stammte, die dutzenden kleiner Fliegen als Sarg diente. Die Lampe hing im Zentrum einer weißen Zimmerdecke mit bizarren, braunen Feuchtigkeitsflecken und abblätterndem Putz. Sofort schloss er wieder die Augen, weil das helle Licht ihm bohrende Kopfschmerzen verursachte, bis er erkannte, dass das Licht gar nichts mit den Schmerzen zu tun hatte. Er fuhr sich über den Hinterkopf. Er fasste in etwas Klebriges, und die Berührung brannte. Er hielt sich die Hand vor die Augen. Sah durch seine zusammengekniffenen Lider hindurch rotbraunes Blut. Für einen Moment war er erleichtert. Es war nicht hellrot, also schon geronnen. Ein gutes Zeichen.
    Er fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. Es schien unversehrt. Seine Sturmhaube war weg. Er sah sich um und

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