Verraten
einen Wandschrank und holte aus einer großen Schublade ein Videoband heraus, das er in einen Recorder einlegte. Hinter dem Konferenztisch erwachte ein großer Plasmabildschirm grellblau zum Leben und im nächsten Moment wurden Bilder sichtbar. Unscharf und grobkörnig, wie bei einem Amateurvideo.
Alice stand da wie angewurzelt und starrte auf den Bildschirm.
Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, was sie da sah. Dann schlug sie die Hände vor das Gesicht. Sie wollte das nicht sehen, weigerte sich, ihren Augen zu trauen. In dem Video sah sie sich selbst. Mit Paul. Es war merkwürdig, sich selbst dabei zuzuschauen. Sie war nicht gerade ein Pornostar, was das Resultat noch trauriger und peinlicher machte, als es ohnehin schon war. Es sah unglaublich dilettantisch aus.
Schlimmer als peinlich.
Paul schaute sie an, die Hände in den Taschen. Seine Augen verrieten keine Spur von Mitleid.
»Wie ich dir bei anderer Gelegenheit schon mal gesagt habe«, bemerkte er, »ist nichts auf der Welt so wechselhaft wie eine Frau. Und ich lasse mir nicht drohen.«
Schweigend starrte sie ihn an.
»Okay«, sagte er. »Das ist der Deal: Du redest mit Anna und schon geht dieses Band mit dem nächsten Kurier an deinen Mann.«
Sie schaute ihn weiterhin nur an, am Boden zerstört.
»Das ist doch nur gerecht, oder?«, fragte er, während er das Band anhielt, herausnahm und wieder zurück in die Schublade legte. Er drehte sich um und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich möchte gern, dass es bei meinen Geschäften fair zugeht, Alice. Dass alle Beteiligten wissen, woran sie sind.«
Sie war zu verstört, um etwas zu erwidern. Sie versuchte, klar zu denken, doch es gelang ihr nicht. Sie schaute auf den blauen Schirm, zu Paul und wieder zurück.
Vielleicht kam Sil das ja gerade recht.
»Ich weiß, was du denkst«, sagte er. »Aber mein Hobby ist es, Menschen zu beobachten, und weißt du, was mir aufgefallen ist? Auf dem Fest hat er sich sehr besitzergreifend verhalten. Fast pubertär eifersüchtig. Vielleicht nimmst du dir seine Eskapade zu sehr zu Herzen. Mehr als er. Bestimmt kommt er bald wieder zu dir zurück und bleibt für immer bei dir. Vielleicht wollte er dich überhaupt nie wirklich verlassen. Jedenfalls glaube ich nicht, dass es einer langen und glücklichen Ehe förderlich ist, wenn er zu sehen bekommt, was sein liebes Frauchen so anstellt. Er wird das nicht verkraften, Alice. Und dann bist du ihn für immer los.«
Sie schüttelte den Kopf. »Du irrst dich, Paul. Ich kenne meinen Mann. Sil kann dich sowieso nicht leiden. Er wird dich besuchen kommen.«
Paul lachte freudlos. »Auch darüber habe ich nachgedacht, Alice. Falls es dir noch nicht aufgefallen ist: Dein Mann ist ein Denker, kein Macher. Er hat seine Gefühle gut im Griff. Das hat er bewiesen. Außerdem wissen wir beide, du und ich, dass er dieses Band nie zu sehen bekommen wird. Weil du nicht zu Anna gehen wirst.«
Sie schaute ihn ausdruckslos an. Er beobachtete ihre Gesichtszüge, die sich langsam verhärteten.
»Das kannst du nicht wollen, Alice«, sagte er. »Ich verspreche dir, ich schicke dieses Band los. Noch am selben Tag.«
Sie drehte sich mit einem Ruck um und ging zur Tür hinaus, ohne noch einmal zurückzuschauen.
Das gedämpfte Tageslicht, das durch die gelben Gardinen hereinfiel, verlieh dem Zimmer eine weiche, warme Atmosphäre. Das weiße Deckbett war am Fußende zu einem Berg zusammengeschoben. Sil lag nackt auf dem Bauch, den Kopf auf den verschränkten Armen. Susan zog mit dem Fingernagel eine imaginäre Linie über seine Schulter. Er folgte jeder ihrer Bewegungen durch die zusammengekniffenen Augenlider.
»Nein«, sagte er. »Genug ist genug.«
Sie lächelte, beugte sich über ihn und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich kann mir nicht vorstellen, jemals genug zu bekommen. Nicht von dir.«
Er schaute sie blinzelnd von der Seite an. »Du laugst mich ja völlig aus! Du siehst aus wie eine Fee und bist in Wirklichkeit die böse Hexe, die alles Leben aus mir herauszieht. Du schaffst mich mehr als drei Stunden Bankdrücken.«
»Schwächling.«
Mit den Fingern folgte sie den Konturen einer bizarren weißen Narbe an seiner Körperseite. »Wie bist du denn daran gekommen?«
»Alte Kriegsverletzung. Vietnam.«
»Na klar. Und an diese?« Sie fuhr rund um eine weiße Schwellung auf seinem Oberschenkel, groß wie eine Fingerkuppe.
»Schusswunde aus dem Ersten Weltkrieg. Bei der Schlacht um Arnheim.«
»Die Schlacht um Arnheim hat im Zweiten
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