Verraten
schweigend an. Sie hatte einen anderen Empfang erwartet als diese distanzierte Begrüßung.
Sie schluckte. »Ich … na ja … ich wollte mich einfach nur bei dir bedanken, wegen gestern.«
»Hat dein Mann etwas gemerkt?«
»Nein. Er hat schon geschlafen, als ich nach Hause kam.«
»Und heute Morgen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Er steht nie vor neun Uhr auf.«
Er nickte. Saugte an seiner Unterlippe und schaute sie unschlüssig an.
»Na ja, wo du schon einmal hier bist, Alice. Ich habe leider eine schlechte Nachricht für dich. Heute Morgen habe ich zwei Moderatorinnen ausgewählt.« Er legte eine kurze Pause ein, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen. »Und du bist nicht dabei.«
Sie merkte nicht, dass ihr der Unterkiefer hinunterfiel.
»Wie bitte?«, fragte sie leise.
Er schüttelte den Kopf, als habe sie die falsche Antwort auf eine simple Quizfrage gegeben.
»Alice. Erst gestern Abend ist mir klar geworden, wie instabil deine persönliche Situation ist. Ich mag dich als Menschen. Das weißt du. Deshalb habe ich ernsthaft erwogen, dir diese Chance zu geben. Wir haben uns heute Morgen beraten, aber das Team findet, dass Dreams4You doch ein zu wichtiges Projekt ist, um jemanden ohne Erfahrung einzusetzen. Wenn ich ehrlich bin, ist das auch meine Meinung.« Wieder legte er eine Pause ein. Schaute sie unverwandt an. »Es hängt zu viel davon ab. Tut mir leid.«
Sie wusste nicht, ob sie vor Scham in ein Mauseloch kriechen oder ihm vor Wut an den Hals springen sollte. Die Wut gewann mühelos die Oberhand. Was er sagte, war kompletter Unsinn. Die Chance, Moderatorin zu werden, war der einzige Fixpunkt in ihrem Leben. Vor allem jetzt, da Sil eine andere Spielgefährtin gefunden hatte, hätte sie buchstäblich ihr Leben für Dreams4You gegeben. Es war der einzige Halt, der ihr geblieben war. Und das wusste Paul ganz genau. Schließlich hatte sie es ihm gestern erzählt, verdammt nochmal!
»Du hast mich benutzt«, schlussfolgerte sie, immer noch wie betäubt. »Du hast mir das Blaue vom Himmel herunter versprochen und dich nicht an dein Wort gehalten, weil du bekommen hast, was du wolltest. Stimmt doch, oder?«
Er legte die Hände vor sich auf den lederbezogenen Schreibtisch und sprach langsam und deutlich, als rede er mit einem Kind.
»Du bringst da etwas durcheinander, Alice. Wenn du das, was gestern zwischen uns passiert ist, als ›benutzen‹ bezeichnen möchtest, dann hast auch du mich benutzt. Du hast eine Schulter zum Ausweinen gesucht und wolltest auf andere Gedanken gebracht werden. Es war deine eigene Entscheidung, zu mir zu kommen. Ich war für dich da. Und ich kann nicht leugnen, dass wir es nett miteinander hatten. Aber es gibt eine Zeit zum Spielen und eine Zeit zum Arbeiten. Gestern haben wir hübsch miteinander gespielt. Heute ruft die Arbeit wieder.« Er schaute sie eindringlich an und fuhr dann ein wenig mitleidig fort, als wolle er seine harten Worte ein wenig abschwächen. »Du kriegst schon noch deine Chance. Aber regle jetzt erst mal deine Privatangelegenheiten. Das ist wichtig in unserer Branche. Und belege einen Kursus in Moderationstechniken oder so was Ähnliches.«
»Also stimmen die Gerüchte über dich«, sagte sie.
»Welche Gerüchte?«
»Die man sich überall über dich erzählt. Wie konnte ich nur so entsetzlich blind und loyal sein, dass ich sie einfach nicht glauben wollte? Die wievielte bin ich eigentlich, Paul? Mit wem bist du sonst noch im Bett gewesen auf deinem Boot? Und wen hast du sonst noch alles in dem Wahn gelassen, dass …«
»Ich glaube nicht, dass ich mich vor dir rechtfertigen muss.«
»Weiß deine Frau davon?«, fragte sie laut und voller Zorn. »Hat sie auch nur die geringste Ahnung davon, dass du jedem Rock hinterherrennst? Oder ist das für sie genauso neu wie für mich?«
»Lass Anna aus dem Spiel, Alice.«
»Vielleicht wird es höchste Zeit, dass ihr mal jemand die Augen öffnet.«
Ihr war gar nicht bewusst, wie drohend sie klang. Sie war außer sich vor Wut und Ohnmacht.
Doch er lächelte nur rätselhaft. Stand auf, ging in einen angrenzenden Raum und bedeutete ihr mit einem Wink, ihm zu folgen. Sie hatte keine Ahnung, was er vorhatte.
In dem Konferenzraum neben Pauls Büro fanden normalerweise die Versammlungen der Geschäftsleitung statt. Sie war noch nie dort gewesen. Auf dem schwarzen Teppichboden standen ein ovaler Konferenztisch aus Wurzelholz und acht luxuriöse Lederstühle. Paul tippte einen Lichtschalter leicht an, ging an
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