Verraten
aus dem Wust. »Michel hat Dienst. Nur wenn ein komplizierter Fall reinkommt, muss ich nochmal los.«
»Hast du schon ein Haus in Aussicht?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe mich bisher noch gar nicht richtig darum gekümmert. Ich bin mir nicht sicher, was ich wirklich will. Ein ganzes Haus für mich allein? Vielleicht kaufe ich auch die Bude hier oder so. Im Grunde ist sie groß genug.«
Susan trank einen Schluck von ihrem Kaffee und verzog angewidert das Gesicht. »Hast du irgendwo einen Löffel?«
Er nickte. »Nimm dir einfach einen aus der Küchenschublade.«
Sie öffnete die oberste Schublade und stand da wie vom Donner gerührt. Riss die Augen auf und starrte gebannt auf das, was sie sah.
In der Schublade lagen drei Schusswaffen.
Er hatte wahrscheinlich ihr Zögern bemerkt, denn er hob den Kopf.
»Nicht in dieser Schublade, in der ganz rechts«, sagte er in einem Ton, als sei es die normalste Sache der Welt, dass Pistolen in seiner Küchenschublade lagen - und als erwarte er, dass sie genauso denken würde.
Sie schwieg noch immer und rührte sich nicht.
»Was ist denn?«, fragte er.
Sie konnte ihre Augen nicht von den Waffen abwenden. Das waren keine Betäubungspistolen. Die sahen anders aus. Die hatte sie bei den Wildtierärzten gesehen, mit denen sie gelegentlich unterwegs gewesen war. Das hier waren echte Pistolen. Mit denen man Menschen töten konnte.
Was für ein Tierarzt war das?
»Das sind keine Betäubungspistolen«, sagte sie schließlich.
»Stimmt, richtig gesehen. Das sind eine Ruger, eine Sig-Sauer und eine Beretta. Warum?«
»Warum?«
»Ich müsste sie eigentlich in einem Tresor aufbewahren«, fuhr er fort. »Aber ich habe noch keinen hier. Bei mir laufen ja auch keine Kinder herum und außerdem sind die Dinger nicht geladen. Deshalb finde ich das nicht so problematisch. Die Löffel sind in der ganz rechten Schublade am Fenster.«
Sie schaute ihn verständnislos an.
»Schießen ist mein Hobby«, erklärte er. Und als sie immer noch nichts sagte, fügte er hinzu: »Ich bin Sportschütze, Mitglied in einem Schützenverein.«
Sie nickte, noch nicht recht überzeugt.
»Es macht wirklich Spaß, weißt du«, sagte er, um sie zu beruhigen.
»Sven«, sagte sie. »Das hier sind Schusswaffen. Sie sind dazu da, Menschen zu töten.«
Er lachte. »Gebrauchsgegenstände kann man zu verschiedenen Zwecken benutzen. Eine Schusswaffe ist genauso tödlich wie ein Auto, ein Küchenmesser oder eine Kreissäge. Es kommt darauf an, was man damit anstellt. Mit Waffen wie diesen kann man auch einfach nur an Schießwettbewerben teilnehmen.«
Sie schaute ihn an. »Aber Waffen werden zu dem Zweck hergestellt, Menschen zu töten. Kreissägen nicht.«
»Spielt das denn eine Rolle? Schießen ist ein ziemlich beliebter Sport, weißt du. Vielleicht solltest du mich mal zum Schießstand begleiten. Dann könntest du mit eigenen Augen sehen, dass gar nichts Schlimmes dabei ist. Es gibt keine Toten, und wir schleichen auch nicht im Dunkeln herum und jagen den Leuten Angst ein. Und bei uns werden auch keine verurteilten Pädophilen über den Platz gehetzt - leider.« Er lachte. »Alles verläuft in ganz geordneten Bahnen.«
Sie schob die Schublade mit den Waffen zu und nahm einen Löffel aus der anderen. Drehte sich um und blickte erneut ihren Nachbarn an, der sie seinerseits fragend anschaute. Sie hatte schon so oft erlebt, dass Leute auf den ersten Blick ganz anders wirkten, als sie tatsächlich waren. Im positiven wie im negativen Sinne. Doch jeder Mensch hatte seine verschiedenen Seiten. In der Regel bestand eine Persönlichkeit aus mehreren Schichten, und so konnte ein vernünftiger, netter Kerl wie Sven eben auch ein Hobby wie Schießen betreiben. Daran war nichts Schlimmes, das war völlig in Ordnung.
»Warum nicht?«, hörte sie sich zu ihrer eigenen Überraschung sagen. »Ich komme gerne einmal mit. Man sollte alles im Leben einmal ausprobiert haben.«
»Nein, nicht alles«, erwiderte er, stand auf, wischte sich die Hände an der Jeans ab und schaltete den Fernseher ein. Ein Actionfilm mit Mel Gibson, Payback, wurde gerade angekündigt.
»Es gibt Erfahrungen, auf die kann man gut und gern verzichten«, fügte er hinzu.
Sie schauten sich den Film an. Susan saß mit angezogenen Knien auf dem Sofa, Sven davor auf dem Boden. Sie fand es angenehm, in seiner Nähe zu sein. Es fühlte sich nicht bedrohlich an. Natürlich hatte sie Augen im Kopf. Er sah gut aus. War intelligent, hatte Humor.
Aber
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