Verr�ter wie wir
seines Ledersessels, der auf halber Strecke zwischen der gläsernen Eingangstür und dem säulengeschmückten Salon d’Honneur stand – Letzterer laut dem geschmackvollen Bronzeschild, das den Gästen den Weg wies, derzeit Schauplatz eines mittäglichen Apéro, ausgerichtet vom Arena International Conglomerate. Da saß er, so allein wie nur je, behielt nur mit Hilfe der vielen eleganten Türspiegel die Neuankömmlinge im Auge und wartete auf den Moment, da es galt, einen brandheißen russischen Überläufer zu exfiltrieren.
Gut zehn Minuten schon sah er in einer Art ehrfürchtiger Lethargie zu, wie sie einer nach dem anderen betont unauffällig hereingeschlendert kamen, erst Emilio Dell’Oro mit den beiden Schweizer Bankiers, die Gail Peter und der Wolf getauft hatte, dann ein Trupp grauer Anzüge, dann zwei junge Saudis, jedenfalls hielt Luke sie dafür,gefolgt von einer Chinesin und einem breitschultrigen, dunkelhäutigen Mann, den er auf gut Glück als Griechen einstufte.
Danach, als geschlossene Phalanx der Genervtheit, die sieben sauberen Armani-Emissäre, bewacht nur von Bunny Popham mit Nelke im Knopfloch, und der träge-charmante Giles de Salis, der, passend zu seinem empörend gut sitzenden Anzug, einen Spazierstock mit silbernem Knauf trug.
Na, Aubrey Longrigg, wo steckst du, jetzt, wo man dich braucht?, hätte Luke ihn gern gefragt. Ziehst den Kopf ein, was? Kluger Bursche. Ein Sitz im Oberhaus und eine Freikarte fürs French Open, dazu sagst du nicht nein. Und zu Schmiergeld auf einem Nummernkonto und noch mehr Brillanten für deine spatzenhirnige Frau auch nicht. Ganz zu schweigen von einem Platz im Aufsichtsrat einer schicken neuen Londoner Bank, die Milliarden frisch gewaschener Dollars zum Spielen hat … Aber eine feierliche Überschreibung in einer Schweizer Bank, wo du mitten im Rampenlicht stehst, das ist dir doch zu heiß – dachte Luke just in dem Moment, als die schlaksige, glatzköpfige, missgelaunte Gestalt des Parlamentsabgeordneten Aubrey Longrigg die Stufen hinaufgestakst kam – in natura diesmal, nicht im Film – und an seiner Seite die Nummer Eins unter den Geldwäschern, Dima.
Luke rutschte tiefer in seinen Sessel hinein, klappte den Deckel seines Laptops noch etwas höher und wusste: Ein derartiges Triumphgefühl hatte ihn noch nie im Leben durchsiedet und würde es vermutlich auch nie mehr. Gleichzeitig dankte er einmal mehr den Göttern, dass er Aubrey Longrigg in all seinen Jahren beim Geheimdienst kein einziges Mal persönlich zu Gesicht bekommen hatte und dieser ihn seines Wissens auch nicht.
Dennoch wartete er sicherheitshalber, bis beide Männer auf ihrem Weg in den Saal ein gutes Stück an ihm vorbei waren,ehe er den Kopf zu heben wagte zu einem raschen Blick in die Spiegel, der ihm ein paar kleine, aber feine operative Erkenntnisse bescherte:
Erkenntnis Nummer eins: Dima und Longrigg sprechen nicht miteinander. Sie scheinen auch beim Eintreten nicht miteinander gesprochen zu haben. Sie sind nur zufällig zur gleichen Zeit die Treppe hinaufgestiegen. Hinter ihnen kommen noch zwei Männer – seriöse, mittelalte Schweizer Buchhalter vom Typ her –, und Luke hält es für wahrscheinlicher, dass Longrigg im Gespräch mit einem von ihnen oder auch beiden war. Und obwohl die Beweislage dürftig ist – schließlich können sie vorher geredet haben –, atmet Luke verhalten auf, denn wer entdeckt schon gern um fünf vor zwölf, dass sein Vertrauensmann eine persönliche Verbindung zu einem der Hauptdrahtzieher hat, von der er nichts wusste? Aber hauptsächlich tost in ihm das frohlockende, übermächtige: Er ist da! Ich habe ihn gesehen! Ich kann es bezeugen!
Erkenntnis Nummer zwei: Dima hat vor, mit einem Paukenschlag unterzugehen. Zur Feier des Tages hat er einen blauen Maßanzug angezogen, doppelreihig und mit Nadelstreifen, und an den zarten Füßen trägt er schwarze italienische Kalbslederslipper mit Quasten – nicht das perfekte Schuhwerk zum Flüchten, schießt es Luke durch den Kopf, aber es soll ja auch keine Flucht sein, sondern ein geordneter Rückzug. Für jemanden, der der Meinung ist, gerade sein eigenes Todesurteil unterschrieben zu haben, tritt er jedenfalls recht unbekümmert auf. Vielleicht ist es der Vorgeschmack der Rache, der ihm schon den Gaumen kitzelt: Ehrenrettung für einen alten Wor und Buße für einen dahingemetzelten Jünger. Oder vielleicht ist er trotz aller Ängste einfach froh, das Lügen, Sich-Ducken und Sich-Verstellen hinter sich
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