Verr�ter wie wir
bisweilen unerforschlich sind.
Was im Zweifel genau das ist, was Dima für seine hochheiligen Wory empfindet.
* * *
Eigentlich müsste jemand schreien, aber es schreit keiner. Am Fuß der Treppe liegen die beiden Männer, übereinander hingesunken in scheinbarer Missachtung des homophoben Wory-Kodex. Dima tritt noch immer auf Niki ein, der unten liegt, und der Philosoph klappt den Mund auf und wieder zu wie ein gestrandeter Fisch. Luke dreht sich um, steigt vorsichtig die Treppe hinauf, verschließt die Schwingtür und steckt den Schlüssel wieder ein, bevor er zu dem stummen Schauspiel dort unten zurückkehrt.
Er packt Dima am Arm – der noch einen letzten Fußtritt loswerden muss, bevor er mitkommt – und führt ihn an den Toiletten vorbei, ein paar Stufen hoch und durch einen unbenutzten Empfangsbereich, bis sie zu der eisenbeschlagenen Seitentür kommen, auf der NOTAUSGANG steht. Für diese Tür gibt es keinen Schlüssel, sondern einen an die Wand geschraubten grünen Blechkasten mit einer Glasscheibe und dahinter einem Alarmknopf für Notfälle wie Feuer, Überschwemmung oder Terroranschläge.
Während der letzten achtzehn Stunden hat sich Luke intensiv mit diesem grünen Kasten und dem dazugehörigen Panikknopf befasst und sicherheitshalber Ollie wegen seiner möglichen Eigenschaften konsultiert. Auf Ollies Empfehlung hin hat er vorsorglich die Messingschrauben herausgedreht, die die Glasscheibe an dem Blechgehäuse befestigen, und einen bedrohlich wirkenden rotummantelten Draht durchgezwickt, der hineinführt in die Eingeweide des Bellevue, um den Panikschalter mit dem zentralen Alarmsystem des Hotels zu verbinden. Durch ein Abzwickendes roten Drahtes, so Ollies Vermutung, sollte sich der Notausgang öffnen lassen, ohne die sofortige Evakuierung von Personal und Hotelgästen nach sich zu ziehen.
Luke entfernt mit der Linken die gelockerte Glasscheibe und will mit der Rechten den roten Knopf drücken, muss aber feststellen, dass seine rechte Hand vorübergehend außer Betrieb ist. Also nimmt er wieder die linke, worauf die Tür mit Schweizer Präzision auffliegt, genau wie von Ollie erhofft, und vor ihnen liegt die Straße, wo der sonnige Tag lockt.
Er schiebt Dima vor sich her und hält dann (weil sich das so gehört für zwei gutgekleidete, ehrbare Berner Bürger, die zusammen auf die Straße treten, und auch aus Respekt dem Hotel gegenüber) noch einmal inne, um die Tür hinter sich zuzuziehen – und sich mit stummem Dank an Ollie zu vergewissern, dass kein Sirenengeheul im Innern die unverzügliche Räumung fordert.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, vielleicht fünfzig Meter weiter, befindet sich eine Parkgarage, die den seltsamen Namen Parking Casino trägt. Auf der ersten Ebene, gleich gegenüber dem Ausgang, steht der BMW , den Luke für diesen Augenblick gemietet hat, und in Lukes tauber rechter Hand liegt der Schlüssel, der die Autotüren schon von weitem entriegelt.
»Jesusmaria, Dick, ich lieb Sie, Mann«, flüstert Dima keuchend.
Mit seiner tauben rechten Hand fischt Luke im Innenfutter seines Jacketts nach dem Handy, zieht es heraus und tippt mit dem linken Zeigefinger die Taste für Ollie.
»Holt sie raus«, befiehlt er mit gebieterischer Ruhe in der Stimme.
* * *
DerPferdetransporter rollte rückwärts ein Steilstück hinab, und Ollie rief zu Perry und Gail hinter, dass es nun so weit war. Nach dem Halt in der Parkbucht waren sie eine gewundene Bergstraße hinaufgefahren, hatten Kuhglocken gehört, Heu gerochen. Sie hatten pausiert, gewendet, zurückgesetzt, und jetzt warteten sie wieder, aber nur darauf, dass Ollie die Heckklappe herunterließ, was er sehr bedachtsam tat, um keinen Lärm zu machen, so dass er scheibchenweise in Sicht kam, von seinem großen schwarzen Schlapphut abwärts.
Hinter Ollie war ein Stall zu sehen, und hinter dem Stall eine Koppel und zwei hübsche junge Pferde, Braune, die angesprungen kamen, um sie zu beäugen, und dann wieder davontrabten. Neben dem Stall ragte ein großes modernes Haus mit dunkelroten Holzwänden und überhängendem Dach auf. Es hatte einen Vorder- und einen Seiteneingang, beide mit einem Vorbau. Der Vordereingang war von der Straße einsehbar und der seitliche nicht, also wählte Perry den an der Seite und sagte: »Lass mich vorgehen.« Sie hatten vereinbart, dass Ollie als Familienfremder im Wagen bleiben sollte, bis sie ihn riefen.
Im Näherkommen bemerkten Perry und Gail zwei Überwachungskameras, die sie ins Visier
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