Verruchte Nächte - One Night with a Spy (03 Royal-Four)
Gefühl gegeben hatte, sie könnte das schaffen.
Die Risse im Verputz der Decke schienen vor ihren Augen zu verschwimmen. Er ließ sie jetzt hungern - wenn er jedoch wüsste, wie außer sich sie geriet, wenn sie nicht ordentlich zu essen bekam, hätte er es sich vielleicht noch einmal
überlegt. Sie kämpfte darum, den größten Riss zu fokussieren. Sie hatte ihn Themse genannt. Er schlängelte sich von einer Wand zur anderen über die fleckige Decke des vor Schmutz starrenden Zimmers.
Als sie ihn klar und deutlich sah, wandte sie sich seinen kleineren Zuflüssen zu. Sie zwang ihre Augen dazu, ihr so weit zu gehorchen, dass sie einen nach dem anderen klar erkannte. Fleet, Tyburn, Westbourne, Black Ditch …
Julia seufzte. Ihr Körper schmerzte und ihr Schädel pochte. Sie hätte sich gerne auf den Bauch gedreht, aber ihre Kette ließ das nicht zu. Sie hatte nur genügend Spielraum, um auf dem Bett zu liegen und den Nachttopf zu benutzen.
Ihm hatte es überhaupt nicht gefallen, als er hatte aufwischen müssen, nachdem er sie zum ersten Mal zusammengeschlagen hatte. Deshalb hatte er sich gezwungen gesehen, ihre Situation zu verändern, um nicht noch mehr Vergehen gegen seine reinliche Natur in Kauf nehmen zu müssen.
Sie lachte trocken und hustend auf. Schon merkwürdig, wenn man bedachte, dass er Latrinen in die Luft jagte.
»O Aldus, dieses Mal habe ich dich wirklich enttäuscht«, flüsterte sie den Flüssen an der Decke zu. »Du hast dich in mir getäuscht. Ich habe versucht, es dir zu sagen, aber ihr Männer hört ja niemals zu. Du hast dich getäuscht, und Liverpool und Marcus und die anderen hatten Recht. Ich habe nicht die Kraft, einer der Royal Four zu sein.«
Sie blinzelte und atmete rasselnd ein. Dann schaute sie sich vorsichtig um. Sie hatte sich wieder gehen gelassen. Gott sei Dank war er nicht in ihrer Nähe und hörte ihr zu.
Plötzlich traten Tränen aus ihren Augenwinkeln. »Siehst du?«, wisperte sie. »Ich bin auch nur ein dummes Mädchen, das wegen Nichtigkeiten weint.«
Sie konnte spüren, dass sie von Stunde zu Stunde schwächer wurde. Wie ein Kind mit dem Daumen im Wasserhahn, so hielt auch sie einen Strom zurück - einen Strom an Informationen.
Früher oder später würde es ihm auffallen, dass sie mehr war als eine normale Witwe - wahrscheinlich, weil ihr irgendeine Bemerkung unwillentlich entschlüpfte - und er würde jedes kleinste Detail mit Leichtigkeit aus ihr herausprügeln.
Als er sie heute Morgen geschlagen hatte, hatte sie sich mit jeder Faser ihres Seins danach gesehnt, die Wahrheit hinauszuschreien, damit er nur einen kleinen Moment innehielt, nur lange genug, dass sie atmen konnte. Wenn sie auch nur einen Atemzug Luft in ihrer Lunge gehabt hätte, hätte sie es getan.
Sie war eine Gefahr für England, genau wie Liverpool gesagt hatte. Sie war nichts als ein Schwächling, den man am besten in der Stille einsperrte, denn sie würde nicht mehr lange in der Lage sein, ihr dummes Mundwerk zu halten.
Sie ließ die Füße auf den Boden gleiten und stand schwankend auf. Sie durfte sich nicht erlauben herumzuliegen; es würde sie nur noch mehr schwächen. Sie nahm sich vor, vom einen Ende der Kette am Bett zum anderen Ende am Fenster zu gehen.
Sie streckte ihren Körper und reckte sich wieder einmal nach der Fensterbank, aber ihre Arme waren innerhalb der letzten Stunde nicht gewachsen, noch war die Kette länger geworden. Wenn sie es gekonnt hätte, hätte sie schon längst das Fenster eingeschlagen und um Hilfe gerufen; obschon sie angesichts des Lärms und der Geräusche, die aus den Nebenzimmern und von der Straße her zu ihr drangen, bezweifelte, ob es irgendjemandem auffallen würde, wenn noch eine Frau anfinge zu schreien.
Mit Sicherheit hatte sie bisher niemand gehört.
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und zog mit der Kraft ihres ganzen Körpers an der Kette. Wenn sie sich so hinstellte, dann konnte sie die Leute auf der Straße unten sehen. Sie musste immer nach nur kurzer Zeit aufhören, denn der
Schmerz in ihrer verdrehten Schulter wurde dann zu stark, als dass sie ihn länger ertragen konnte, aber irgendjemand schaute vielleicht einmal zu ihrem Fenster hoch. Irgendeine neugierige Seele sah sie vielleicht wie irre in ihrem Turm Zeichen geben und würde sich auf den Weg machen, alles über die Verrückte im Turm herauszufinden.
Es war unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Sie war inzwischen so weit, dass sie sich an diese magere Hoffnung klammerte.
Sie sah
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