Verrückt bleiben
umgezogen, denn, wie sagt der Volksmund? »Rollende Reifen setzen kein Moos an.« Wenn mich jemand fragt, warum ich so oft umziehe, dann sag ich meist das mit den rollenden Reifen und dem Moos. Alternativ habe ich ein türkisches Sprichwort im Repertoire: »Wenn das Haus fertig ist, kommt der Tod.«
An beidem ist was dran. Es gibt aber auch noch einen anderen Aspekt, den der Nichtanhaftung. Von 2002 bis 2004 lebte ich in einem Hindutempel im East Village in Manhattan und schrieb dort meinen dritten Roman, die »Venus«. In dieser Zeit habe ich gelernt, was die Mönche meinen, wenn sie von »Detachment« sprechen, von Nichtanhaftung. Die Mönche hängen nicht an irdischem Besitz: Klamotten, Wertgegenstände, ein Dach über dem Kopf. Wenn diese Dinge da sind, ist es gut. Wenn diese Dinge nicht da sind, ist es auch gut. Der Inder Anshuman Jain, Chef der Deutschen Bank, empfiehlt, sein Herz nicht an Dinge zu hängen. Der hat gut reden, werden Siesagen, aber er hat recht. Er ist detached – er folgt dem Prinzip der Nichtanhaftung. Er verdient 50 Millionen, aber er hängt nicht daran. Er fährt mit der U-Bahn, trägt seine Akten im Rucksack herum, und seine Religion ist der Jainismus, der drei Prinzipien vertritt: Gewaltlosigkeit gegenüber allen Lebewesen, Unabhängigkeit von unnötigem Besitz und Wahrhaftigkeit. Wenn dieser Mann eines Tages alles verliert, kann er wahrscheinlich besser damit umgehen als die meisten anderen Menschen. Es muss nicht das Ende bedeuten, wenn man alles verliert.
Kennen Sie die Geschichte von dem Mann, dem sein geliebtes Haus abbrannte? Erst dachte er, sein Leben sei vorbei. Dann zahlte die Versicherung. Dann machte er eine Weltreise und lernte die Frau seines Lebens kennen.
Was muss der Mensch besitzen? Wie viele Hosen brauchen seine zwei Beine? Wie aktiv ist sein Bestand? Tut er gut daran, an den Dingen zu hängen? Hängt ihm nicht vielmehr alles, was er besitzt, wie ein Mühlstein um den Hals? Macht er seinen Möbeln ein schönes Leben? Erstickt er in Souvenirs? Kriegt er eine Staublunge von all den ungelesenen Gesamtausgaben in Lederschubern? Es muss kein Hausbrand sein, manchmal wirkt ein Umzug Wunder. Der finnische Regisseur Aki Kaurismäki zog vor zwanzig Jahren nach Portugal – ohne vorher jemals dort gewesen zu sein.
Inventur. Neustart. Formatieren der Festplatte. Alles auf Anfang!
Ich brauche keinen Parkplatz beim Universum zu bestellen, ich habe gar kein Auto. Ich hab auch keine Kuckucksuhr, die mich jede Stunde mit einem »Kuckuck« daran erinnert, dass die Zeit zum Kuckuck geht. Ich hab auch kein Metronom mehr, ich brauche keins mehr, weil ich mein Klavier verkauft habe. Immerhin habe ich inzwischen einen Salzstreuer – obwohl es durchaus ohne ginge.
Haben Sie schon mal provisorisch gelebt? Eine Matratze auf dem Boden, ein Koffer, ein Buch? Der Mensch braucht sowenig, und er hat so viel. Ich sage nicht, dass es erstrebenswert ist, nichts zu besitzen. Ich selber hab auch lieber eine Wohnung mit Heizung, Badewanne und Internet. Aber ich plädiere für einen schlanken, aktiven Bestand. Ich bin ein Wegschmeißer, ein In-den-Kreislauf-Zurückgeber. Wenn ich ein Buch ausgelesen habe, setze ich es auf einer Parkbank aus. Wenn ich mir eine Hose kaufe, sortiere ich eine andere Hose aus und bringe sie in die Altkleidersammlung.
Manche Leute stopfen ihre Wohnung regelrecht voll. Nirgends ist Platz zum Tanzen, Purzelbäumeschlagen oder Auf-dem-Boden-Rollen. Man muss ein U ums Bett laufen, um ans Fenster ranzukommen. Was soll der ganze Ballast? Bin ich die Anzahl meiner Bücher, meiner Kleidungsstücke, meiner Umzugskartons? Messies haben Wohnungen wie Gerümpelschuppen, sie ersticken im eigenen Mist. Sie stoßen sich die Knie blau an riesigen Flachbildschirmen. Sie laufen Slalom zwischen Büchern, die sie nie lasen, nie lesen wollten, ja, nie lesen werden. Ach, vielleicht wollen Sie sie doch lesen? Ich wette dagegen. Das ist wie bei einem Selbstmörder, der vom Hochhaus springen will. Wenn er nach zwei Stunden nicht gesprungen ist, dann springt er nie.
Ach, Sie können nichts wegschmeißen? Aus Männern werden Frauen, aus Unternehmern werden Mönche, genauso gut kann aus einem Aufheber ein Wegschmeißer werden. Es ist ganz leicht. Zehn XXL-Müllsäcke – und zack! Jeder Wegschmeißer würde sich glücklich schätzen, einem Aufheber unter die Arme zu greifen. Das Ideal von uns Wegschmeißern ist ein Messie, der um Hilfe bettelt.
Machen Sie eine Schlankheitskur für Ihren Besitz.
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