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Verrückt bleiben

Verrückt bleiben

Titel: Verrückt bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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Konzert der Wiener Philharmoniker fiel mir einmal ein Asiate auf, der seine Krawatte verkehrt herum trug, mit dem Etikett nach außen. Er blickte kritisch auf die Schlipse der anderen, er fühlte sich im Recht, er war eine Art kultureller Geisterfahrer. Ich konnte ihn schlecht auf seinen Irrtum hinweisen, man weiß bei Asiaten nie, nachher verlieren sie ihr Gesicht und müssen Harakiri machen. Ich kam zu dem Ergebnis, die beste Lösung sei, wenn alle anwesenden Herren ebenfalls ihre Krawatte umdrehen würden. Leider ließ sich meine Idee nicht in die Tat umsetzen, weil die Pause vorbei war, aber schön war sie doch.
    Wir bleiben verrückt, und die Welt arrangiert sich mit uns, sie korrigiert nach. Sie stellt sich auf unser Anderssein ein. Wir müssen es nur zeigen, es hinausbrüllen: Hier bin ich, vielleicht bin ich etwas überwürzt, zu scharf, zu salzig, vielleicht ein wenig skurril, ganz bestimmt nicht perfekt. Aber ich bin jemand, mit dem ihr rechnen müsst.

16. Zeitinseln durch Aberwitz
    Sehr geehrte Frau Buschheuer,
    die Sendereihe »LexiTV« plant für den 9.   9.   2011 eine Sendung zum Thema »Terrorismus«. Anlass ist der 10te Jahrestag des Terroranschlags auf das World Trade Center. Zu diesem Thema würden wir gern mit Ihnen ein Interview führen.
    Liebe Grüße aus Leipzig
    Stefan Marx
    Redaktion LexiTV
    MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
     
    Sehr geehrter Herr Marx,
    Frau Buschheuer würde sicher sehr gern das Interview bei LexiTV machen, hat mich aber extra angestellt, um bis Ende September komplett alles abzusagen, weil sie eine Deadline für ihr neues Buch hat. Sie lässt herzliche Grüße an Victoria Hermann bestellen und bittet um Verständnis!
    Mit freundlichen Grüßen
    Astrid Meierhanns,
    Sekretariat Buschheuer

Als Louis XIV. 1667 die Straßenbeleuchtung einführte, erntete er nichts als Undank. Die Laternen wurden mit Steinen eingeworfen. Die Pariser fürchteten um ihre Privatsphäre. Und mir geht es ähnlich. Sie denken vielleicht, das ist ein etwas zu großer, verschossener Mantel, den ich da trage, aber es ist meine Privatsphäre. Zum besseren Schutz meiner Privatsphäre habe ich Frau Meierhanns engagiert. Astrid Meierhanns, 39, ledig, kinderlos, stark kurzsichtig, ist meine Sekretärin. Wenn jemand etwas von mir will, dann sage ich immer, das macht die Frau Meierhanns, darum kümmert sich Frau Meierhanns, da meldet sich Frau Meierhanns bei Ihnen. Frau Meierhanns weiß, was gut für mich ist, und sie weiß, was schlecht für mich ist. Sie telefoniert zwar nicht gern, ebenso wie ich, aber die Post erledigt sie exzellent. Im Unterschied zu mir achtet sie auf Groß- und Kleinschreibung, ihre Interpunktion ist korrekt, sie macht keine Fehler bei der Anrede und versäumt nie, herzlich von mir zu grüßen. Manchmal handelt Frau Meierhanns meine Honorare aus oder koordiniert meine Lesungen. Ich selbst kann mich mit solchem Pipifax nicht befassen. Ich bin viel zu sehr damit beschäftigt, mir Freiräume zu schaffen, Tabuzonen, kleine Inseln der Glückseligkeit, die niemand außer mir betritt. Meist sagt Frau Meierhanns mit großem Bedauern in meinem Namen ab. Sie ist mein Zerberus.
    Dabei existiert sie gar nicht. Ich habe sie mir ausgedacht. Ich habe ihr eine E-Mail-Adresse eingerichtet, einen Briefkopf, eine Signatur, eine Unterschrift.
    Ich möchte sie nicht mehr missen. Sie hält mir den Rücken frei. Was wäre ich ohne Frau Meierhanns?
    Terminhetze ist eine Tyrannei der Jetztzeit, die echte, aber auch die subjektiv empfundene. Wenn man mit Zuverlässigkeit geschlagen ist wie ich, dann wird auch der Alltag zur nichtendenwollenden Hausaufgabe. Mir braucht nur ein Schuster zu sagen: »Kommen Sie morgen ab 12«, und schon gerate ich in Zugzwang. Die Uhrzeit klopft wie ein Specht in meinem Kopf. Verstreicht am nächsten Tag die vom Schuster genannte Zeit, weil ich mit anderen Waren-Termin-Geschäften aufgehalten werde, dann befällt mich eine große innere Unruhe, ich laufe herum, räuspere mich, obwohl ich gar nicht heiser bin, und schaue dauernd auf die Uhr.
    Um 12. Da war doch was um 12? Ich sehe den Schuster wartend am Fenster stehen, meine Stiefeletten in der Hand, neue Sohlen, neue Absätze, er streicht verträumt über das Oberleder, aber wo bleibt die Kundin mit der Abholnummer M677? So denkt der Schuster in meiner Phantasie und wird traurig: Sie hat doch schon bezahlt. Hab ich nicht gesagt, sie kann ab 12 kommen? Hab ich mich nicht extra beeilt?
    Zeitgleich wartet in der Schnellreinigung eine

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