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Verrückt bleiben

Verrückt bleiben

Titel: Verrückt bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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Entschlacken Sie, gleich heute. Walzen Sie durch Ihre Wohnung wie die Müllabfuhr. Wenden Sie Ihre Habe wie Schnitzel in der Pfanne, kehren Sie das Unterste zuoberst, lassen Sie keinen Stein auf dem anderen. Ausmisten ist wie von einem hohen Berg runtersehen. Man hat den Überblick. Man ist Herrscher seines Kontinents, König seines Schlosses. Und wie herrlich,wenn man damit fertig ist! Man fühlt sich eins mit der Welt, die Füße auf dem Mutterboden, der Kopf im All. Man ist leicht, fast tänzerisch leicht. Man macht nicht mehr so tiefe Dellen in seinen Heimatplaneten. Seien Sie ein Zugvogel, wenigstens ein potentieller! Reisen Sie mit leichtem Gepäck durchs Leben. Werfen Sie den Mühlstein in den Brunnen wie Hans im Glück.

18. Fernweh
    »Froh schlägt das Herz im Reisekittel,
    Vorausgesetzt, man hat die Mittel.«
    Wilhelm Busch, Maler Klecksel

Manch einer reist nicht gern. Er malt sich ein Bild der Welt von dort aus, wo er ist. Immanuel Kant ist nie aus Königsberg rausgekommen. Karl May hat Winnetou in Radebeul erfunden. Gottfried Benn dichtete: »Ach, vergeblich das Fahren! Spät erst erfahren Sie sich. Bleiben und stille bewahren das sich umgrenzende Ich.«
    Was steckt dahinter, Hochmut oder Faulheit? Trugen diese Menschen ihre Sehnsuchtsorte tief in sich? Klebten sie sklavisch an der Scholle? Es mag ja sein, dass nicht jeder von einer Reise so gebildet zurückkommt wie Goethe aus Italien und dass Omnibusse voller reiselustiger Rentner etwas Abschreckendes haben, aber es gibt auch die andere Seite: Fernweh, Neugier, Abenteuerlust, Freiheit. Verbieten Sie jemand das Reisen, und er will nur noch weg, siehe DDR.
    Nach der Wende hatte ich es eilig, so weit wie möglich wegzureisen. Erst habe ich unseren Klassenfeind Amerika besucht, dann Israel, dann die europäischen Metropolen, dann die Dritte Welt, schon allein zu Informationszwecken. Aus Abenteuerlust fuhr ich ganz allein mit der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau nach Peking. Und als ich auf Sinnsuche war, pilgerte ich monatelang durch Indien, besuchte die heiligen Plätze von Krishna, Shiva und Kali und verbrachte einige Tage im Ashram von Amma. Amma ist ein Guru. Sie macht den ganzen Tag nichts anderes, als Menschen zu umarmen, damit sie glücklich werden. Ich musste fünf Stunden in einer Schlange warten und mich dabei langsam auf Knien an Amma heranrobben, sodass ich, als ich endlich in Ammas Armen lag, tatsächlich sehr glücklich war.
    Es gibt auch Sehnsuchtsorte, die das Kino schafft. Für mich ist das so. Einmal bin ich den Drehorten meines Lieblingsfilms »Vertigo« von Hitchcock nachgereist, bin durch San Francisco gefahren, die Straßen hoch und runter so wie Scottie (James Stewart), als er Madeleine (Kim Novak) verfolgte. Ich stand unter der Golden Gate Bridge an der Stelle, wo Madeleine ins Wasser springt, um sich von Scottie retten zu lassen. Ich fuhr zu der einige Meilen entfernten Mission San Juan Bautista, auf die Hitchcock im Film einen Turm geschmuggelt hat, den es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Ich habe die gigantischen Riesenbäume im Sequoia National Park gesehen, deren aufgezeichnete Baumringe Madeleine berührt, als sie die kryptischen Worte spricht: »Hier bin ich geboren, und hier bin ich gestorben.« Ganz klein war ich dort, so klein mit Hut. Das gehört für mich zum Faszinierenden am Reisen, dass man sich manchmal wie ein Welteroberer fühlt, und dann wieder winzig.
    Ein anderes Mal bin ich extra nach Jordanien gefahren, weil Lawrence von Arabien in David Leans Schinken immer ruft: »Nach Akaba! Nach Akaba!« Das war dann ein bisschen desillusionierend. Ich hatte es mir so lange vorgestellt, an jenem Ort zu sein – und plötzlich ist man da, und nichts passiert. Das war nicht das haschemitische Königreich, das war nicht das Märchen aus Tausendundeiner Nacht, das war eine schmuddelige Großstadt mit Plattenbauten und als Sindbads verkleideten Bettlern. Manchmal ist die Phantasie stark genug, den bereisten Ort zu verzaubern, manchmal hat man sich zu viel erträumt und ist enttäuscht. Auch das kann Reisen sein: Enttäuschung.
    Ende Juni 2001 brach ich nach New York auf, um ein dreimonatiges Praktikum bei der jüdischen Exilanten-Zeitung »Aufbau« zu machen. Ich begleitete die Reise in meinem Blog: jeden Schritt hinein ins Dickicht der Stadt, die niemals schläft. Ich erkundete Manhattan Planquadrat für Planquadrat, mal übermütig, mal asphaltgeschunden, ich erfand Geschichten,dass ich mit Robert De Niro verlobt sei,

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