Verrückt nach einer Vampirin
versucht, mich anzurufen.« Gideon klang ungewöhnlich zornig. »Innerhalb weniger Minuten hat er dreimal versucht, mich zu erreichen. Beim letzten Mal hat er eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen und mir gesagt, er müsse mich dringend sprechen, aber nur mich und niemand anderen. Er meinte, er hätte eine heiße Spur, wäre sich aber nicht ganz sicher. Um fünf nach halb drei hat er es dann noch mal versucht, wurde aber unterbrochen, bevor er irgendetwas sagen konnte. Sieht aus, als wäre er aus nächster Nähe mit einem kleinen Kaliber erschossen worden. Bei seinem letzten Anruf war er sich sicher, dass er wirklich etwas Wichtiges beobachtet hatte, aber da war es zu spät.«
»Warum bist du denn nicht ans Handy gegangen?« Ophelia war machtlos gegen die Wut, die sich in ihre Stimme schlich.
»Weil es auf dem Grund des Flusses liegt. Wann immer es ging, habe ich die Nachrichten abgerufen. Mein neues Handy habe ich erst vor einer Stunde bekommen. Der Killer hatte einfach unverschämtes Glück, das ist alles.«
»Plato hatte sich zur Arbeit fertig gemacht«, lenkte Ophelia ab. »Er trug immer ein weißes gestärktes Hemd bei der Arbeit. Wenn er in den Club ging, hatte er immer schwarze Sachen an.« Sie unterdrückte ein Schluchzen. »Er war verrückt, ja, aber er war kein schlechter Mensch. Was hatte er hier draußen bloß zu suchen?«
Gideon sagte eine ganze Weile lang gar nichts. Ophelia blickte abermals auf Plato herab, betrachtete die zertrampelten Bodendecker sowie das Durcheinander aus aufgewühlten Kiefernnadeln um ihn herum, während auf der anderen Seite der Boden beinahe blankgefegt war. »Du hältst es für möglich, dass er woanders erschossen wurde, oder?«, fragte sie. »Und dass er hergeschleift wurde oder sich selbst hergeschleppt hat.«
Gideon, der noch immer keinen Ton von sich gab, zog Ophelia langsam von Plato weg, hin zu ein paar Bäumen, zwischen denen weitere Spuren zu entdecken waren, bis sie vor einem alten Farmhaus ankamen, das malerisch in dem Wäldchen lag.
»Die Familie, die hier wohnt, ist zurzeit im Urlaub«, sagte Ophelia.
Als Gideon noch immer nichts erwiderte, fühlte Ophelia sich dazu gezwungen, weiter auszuholen.
»Sie haben mich gebeten, mich um ihren Rasen zu kümmern, während sie weg sind. Ihre Nachbarn nebenan pendeln jeden Tag nach New Orleans.« Sie deutete mit dem Kinn auf ein altes Haus im viktorianischen Stil, das dem von Gideon nicht unähnlich war. »Ich habe ihren Garten letztes Jahr winterfest gemacht. Es wäre nicht schwer, unentdeckt herzukommen. Er könnte auf der Auffahrt geparkt und Plato durch den Wald geschleift haben. Das würde die abgerissenen Blätter und die Kiefernnadeln erklären … Der Leichnam hätte wochenlang unentdeckt daliegen können. Vielleicht war ja der, der heute Morgen auf uns geschossen hat, ebenfalls hier.« Jetzt war sie an der Reihe, Fragen zu stellen. »Wer hat ihn eigentlich gefunden?«
»Einer der Bauarbeiter hat nach seiner Schicht einen Spaziergang hier gemacht. Er wollte sehen, ob man hier gut angeln kann. Wenn er nur eine Stunde früher gekommen wäre, hätte ich jetzt womöglich einen Zeugen.«
»Wenn er eine Stunde früher Feierabend gehabt hätte, wäre er jetzt wahrscheinlich tot«, entgegnete Ophelia. »Der Killer hinterlässt keine Zeugen. Bist du bei den anderen Morden eigentlich vorangekommen?«
»Nicht wirklich«, antwortete Gideon, als sein Handy klingelte. Ophelia beobachtete, wie er dem Anrufer zuhörte. »Aha«, sagte Gideon nach einer kleinen Stille. »Das ergibt Sinn.«
Ophelia gab sich größte Mühe, sich von seinen knappen Worten und ausdruckslosen Augen nicht irritieren zu lassen. »Danke, Jeanie.«
Ophelia setzte sich in Bewegung. »Ich muss nach Hause, unter die Dusche.«
»Anstrengender Tag?«, fragte Gideon betont höflich.
Wir hatten heute Morgen Sex, und du kommst mir mit deiner aufgesetzten Höflichkeit.
»Morgens waren Reuben und ich in der Baumschule, um neuen Japanischen Ahorn zu kaufen. Anschließend sind wir zu dem Kunden gefahren, wo wir alles vorbereitet haben. Dann haben wir gemeinsam zu Mittag gegessen. Ich kann dir gerne die Quittung zeigen.« Für den Fall, dass er ein Alibi verlangte.
Verdammt, was geht hier eigentlich vor sich?
Sie wartete, doch Gideon sagte nichts, und sein Gesichtsausdruck wurde noch unergründlicher.
Ophelia befahl ihren Fangzähnen, an Ort und Stelle zu verharren, und zwang sich, mit möglichst neutraler Stimme zu fortzufahren: »Beim Mittagessen
Weitere Kostenlose Bücher