Verrückt nach Emma
weit und breit nichts zu sehen. Ich horchte auf Schritte im Treppenhaus, aber alles war ruhig. Mit klopfendem Herzen ging ich auf das Bücherregal zu. Vielleicht hatte Simones Oma die Heftchen ja zwischen ihren Büchern einsortiert. Als ich eins der Bücher aus dem Regal ziehen wollte, ertönte plötzlich eine schrille Stimme hinter mir.
» HALTET DEN DIEB !«
Vor Schreck fiel ich beinahe in Ohnmacht. Na toll, jetzt hatte ich den Salat! Simones Oma hatte mich erwischt und hielt mich für einen Einbrecher. Wahrscheinlich würde sie gleich die Polizei rufen, und die würde mit Blaulicht und Tatütata angerast kommen und mich abführen. Simone würde sich fragen, ob ich sie nur besucht hatte, um das Haus auszukundschaften, und meine Mutter würde einen Nervenzusammenbruch bekommen, weil sie ihre einzige Tochter auf dem Polizeirevier abholen musste. Und alles wegen Monas Tagebuch …
Mit zitternden Knien drehte ich mich um und sah – nichts. Hinter mir stand weder Simones Oma noch ein Polizeibeamter mit klimpernden Handschellen. Außer mir befand sich keine Menschenseele im Wohnzimmer. Ich atmete einmal tief durch. Eine Schweißperle lief mir über die Stirn, und ich wischte sie weg. Jetzt wusste ich wenigstens, wie sich Angstschweiß anfühlte. Vielleicht wurde ich ja langsam verrückt. Der Stress wegen der verlorenen Klassenkasse und Monas Tagebuch, Bastian, der nichts mehr von mir wissen wollte, und Mama, mit der irgendetwas nicht stimmte. Vielleicht war das alles zu viel für mich, und ich entwickelte allmählich Wahnvorstellungen. Irgendwann würde ich dann einen Nervenzusammenbruch bekommen und in der Klapsmühle landen …
»Das fehlte gerade noch«, murmelte ich, um mir selbst Mut zu machen.
» RUHE IM KARTON !«, brüllte die schrille Stimme prompt.
Ich fuhr zusammen und schaute in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Und da sah ich es. Vor lauter Erleichterung hätte ich beinahe losgelacht. In der Zimmerecke hing ein großer Vogelbauer an einer Stange, den ich in der ganzen Aufregung komplett übersehen hatte. Und in dem Vogelbauer saß ein Papagei! Er hatte knallrote Federn und sah aus, als wäre er direkt aus dem Dschungel in das Wohnzimmer von Simones Oma geflogen. Eine Weile schauten wir uns einfach nur an. Dann begann der Papagei, auf seiner Stange hin und her zu trippeln und sich mit dem Schnabel zwischen den Federn zu kratzen.
Ich ging näher an den Käfig heran. »Na, du? Was bist du denn für einer?«
» LORCHEN , LORCHEN «, krächzte der Papagei.
Ich kicherte. »Aha, du heißt also Lorchen. Du bist ja wirklich ein ganz schlauer Vogel!«
Lorchen gurrte geschmeichelt. Mann, so einen sprechenden Papagei hätte ich auch gerne gehabt!
Ich war so begeistert von Lorchen, dass ich einen Moment lang völlig vergaß, wo ich war und was ich hier wollte. Ich betrachtete fasziniert den Papagei und hoffte, dass er noch etwas sagen würde. Aber Lorchen hatte offenbar keine Lust mehr auf Unterhaltung. Stattdessen putzte sie ausgiebig ihr Gefieder.
»Na los, Lorchen, du kannst doch bestimmt noch mehr sagen, oder?«, fragte ich. »Komm schon, sprich mit mir!«
Der Papagei sah mich interessiert an, blieb aber stumm. Offenbar wollte er nicht auf Kommando sprechen, was ich auch irgendwie verstehen konnte.
Ich steckte meinen Finger in den Käfig, um Lorchen zu streicheln. Da hörte ich plötzlich ein Geräusch. Jemand kam die Treppe herauf! Ich erstarrte mitten in der Bewegung. Plötzlich fiel mir wieder ein, dass ich mich in einer fremden Wohnung herumtrieb und einen Mordsärger bekommen würde, wenn mich jemand erwischte.
»Verflixter Mist!«, schimpfte ich und sah mich panisch um. Was, wenn Simones Oma zurückkam? Ich musste mich irgendwo verstecken!
In diesem Moment fiel mein Blick auf einen Stapel zerfledderter Hefte, der neben der Couch auf einem kleinen Tischchen lag. Monas
Bergdoktor
-Romane! Da waren sie ja!
Die Schritte aus dem Treppenhaus kamen immer näher. Jetzt konnte ich auch jemanden schnaufen hören. Simones Oma hatte wahrscheinlich wieder Probleme mit ihrem Rheuma. Ich stand wie festgewachsen mitten im Wohnzimmer und sah von den Heften zur Tür und wieder zurück. Was sollte ich jetzt machen? Mir die Hefte schnappen? Oder zusehen, dass ich hier wegkam, ehe etwas Fürchterliches passierte?
Tapp, tapp, tapp. Die Schritte waren jetzt schon fast an der Wohnungstür. Panik erfasste mich. Ich musste mich entscheiden. Und zwar JETZT !
Ohne weiter darüber nachzudenken, stürzte
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