Verrückt nach Emma
Schluck Orangensaft«, sagte Frau Lessing.
Die Stimmen wurden leiser. Offenbar waren Simone und ihre Oma in der Küche verschwunden. Das war meine Chance! Ich lugte vorsichtig hinter der Tür hervor. Der Flur war leer, ich hatte freie Bahn. Erst legte ich die
Bergdoktor
-Hefte zurück auf das Tischchen, dann schlich ich auf Zehenspitzen in den Flur. Die Küche lag links vom Flur, und ich konnte hören, wie sich Simone und ihre Oma unterhielten.
»Sag mal, hast du Lorchen beigebracht, ›verflixter Mist‹ zu sagen?«, fragte Frau Lessing.
»Ich? Nein«, sagte Simone. »Ich weiß doch, dass Lorchen keine Schimpfwörter lernen soll.«
»Das verstehe ich nicht …« Simones Oma klang ziemlich ratlos, und ich grinste in mich hinein.
»Vielleicht hat sie das im Fernsehen aufgeschnappt«, sagte Simone. »Oder im Radio. Du hörst dir doch immer diese Krimihörspiele an …«
Ich drückte die Klinke herunter. Zum Glück quietschte die Wohnungstür nicht, sondern schwang lautlos auf. Ich schlüpfte in den Hausflur und zog die Tür leise hinter mir ins Schloss. Dann rannte ich die Treppe hinunter, als wären tausend Teufel hinter mir her. Ich lief über die Straße und blieb erst stehen, als ich Seitenstechen bekam. Keuchend lehnte ich mich gegen eine Hauswand und drückte Monas Tagebuch an mich. Meine Knie waren so weich wie Butter, und in meinem Kopf drehte sich alles. Aber das war mir egal. Ich hatte Monas Tagebuch gerettet, und das war das Einzige, was in diesem Moment zählte.
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10 . Kapitel
Auf frischer Tat ertappt
E s dauerte eine Weile, bis ich mich wieder so weit beruhigt hatte, dass ich weitergehen konnte. Wahrscheinlich war das so etwas wie eine verzögerte Schockreaktion. Ich durfte gar nicht daran denken, was los gewesen wäre, wenn mich Simone oder ihre Oma hinter der Tür entdeckt hätten. Eins war sicher: Eine Karriere als Einbrecherin konnte ich vergessen. Dafür hatte ich einfach nicht die Nerven.
Nachdem meine Knie aufgehört hatten zu zittern und sich mein Herzschlag wieder halbwegs beruhigt hatte, ging ich langsam in Richtung Bushaltestelle. Der nächste Bus nach Tupfingen fuhr erst in einer halben Stunde, und ich beschloss, noch einen Abstecher ins
Venezia
zu machen. Nach der Aufregung hatte ich mir ein Eis wirklich verdient.
Ich kicherte, als ich daran dachte, wie Lorchen plötzlich »Verflixter Mist« gekräht hatte. Eigentlich schade, dass ich niemandem von meiner Tagebuch-Rettungsaktion erzählen konnte. Mona und Tim hätten die Geschichte bestimmt superlustig gefunden.
Vor dem
Venezia
war nicht besonders viel los. Kein Wunder, eigentlich war auch kein Wetter mehr zum Draußensitzen. Ein kalter Wind fegte über den Marktplatz, und am Himmel türmten sich dunkle Regenwolken.
Ich wühlte in meiner Hosentasche nach Kleingeld und überlegte, ob ich mir zur Feier des Tages ein Eis mit vier Kugeln leisten sollte. Da blieb mein Blick an einem Pärchen hängen, das trotz des schlechten Wetters an einem Tisch vor der Eisdiele saß. Die beiden beugten sich gerade über die Eiskarte. Ich kniff die Augen zusammen. Diese rote Strickjacke konnte es eigentlich nur einmal in Dederstadt geben. Das war Mona! Aber wer saß neben ihr? Ich reckte den Hals. Es war ein Junge, so viel war klar. Hatte sie etwa einen heimlichen Verehrer?
Dann drehte sich der Junge um – und im selben Moment drehte sich mir beinahe der Magen um. Bastian! Ich duckte mich schnell hinter den Werbeaufsteller von
Foto Klemmer
und tat so, als würde ich eingehend die Preise für Hochzeitsaufnahmen studieren. Mir war plötzlich kalt, und das hatte eindeutig nichts mit dem kühlen Herbstwind zu tun. Es war, als hätte jemand mein Herz ins Gefrierfach geworfen, wo es sich gerade in einen Eiswürfel verwandelte.
Was zum Teufel machten Mona und Bastian im
Venezia
? Hatten sie sich vielleicht zufällig getroffen und spontan beschlossen, Eis essen zu gehen?
Ich schüttelte den Kopf. Nein, bestimmt nicht. Mona ging nie einfach so beim
Venezia
vorbei, um sich ein Eis zu holen. Außerdem fuhr sie nach der Schule immer sofort nach Hause. Und Bastian hätte Mona nie auf ein Eis eingeladen. Die beiden hatten doch gar nichts miteinander zu tun.
Oder vielleicht doch? Wenn sie sich nicht zufällig getroffen hatten, gab es eigentlich nur eine andere Möglichkeit: Sie waren verabredet gewesen. Bei dem Gedanken stockte mir der Atem. Mona und Bastian verabredet? Hinter meinem Rücken? Das gefiel mir gar nicht …
Ich hörte ein Lachen und
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