verrueckt nach mehr
taten so, als hätten die Ferien längst begonnen. Frau Rügmann war beinah in jeder Unterrichtstu n de kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Dana und Nele, unsere beiden Nervbacken, kamen ständig zu spät und quatschten in alle möglichen Vorträge hinein, sodass sie schließlich von Herrn Friese einen Tadel kassierten.
Wegen der eisigen Kälte wollte keiner mehr in den Pausen auf den Hof und drückte sich in irgendwelchen Ecken im Schulgebäude herum.
Und in der Mensa herrschte oft dichtes Gedränge, da der Caterer der Schule in der Vorweihnachtszeit besonders leckere Gerichte anbot und um die traditionellen Nachtische rege l recht mit Zähnen und Klauen gekämpft wurde.
Sergio und ich saßen oft mit Adriana und Joshua und manchmal auch dessen beiden Kumpels zusammen und red e ten über alle möglichen Themen. In letzter Zeit ging es alle r dings oft um gesellschaftliche Werte und Normen. Das N o vember-Thema des Debattier-Clubs. Puh! Joshua behauptete, neuesten Studien zufolge tendierten heutige Jugendliche wi e der mehr zu konservativen Werten wie Familie und feste Par t nerschaften. Dennoch seien sie auch an Selbstoptimierung interessiert. Das waren seine Worte!
»Das ist nicht die rebellische Jugend der vergangenen Jahrzehnte«, sagte er kritisch. »Dabei bräuchten wir die jetzt, wenn der Planet nicht vor die Hunde gehen soll. Jeder denkt zuerst an sich und sieht kaum über den Tellerrand.«
»Wenn sich jeder um seinen eigenen Kram kümmern wü r de, ohne dabei anderen zu schaden, wäre der Welt schon mal sehr geholfen«, meinte Sergio.
»Jeder schadet der Umwelt allein durch seine Existenz«, warf Adriana etwas provokant ein und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Hm ...«, machte Joshua, stopfte sich einen Zimtstern in den Mund und kaute nachdenklich.
»Wenn Menschen sich gegenseitig nicht unterstützt und in Notzeiten nicht geholfen hätten, wären sie längst ausgesto r ben!«, sagte Sergio ernst.
Joshua hob verwundert die Brauen. »Hast du vorhin nicht gesagt, jeder soll sich um seinen eigenen Kram kümmern?«
»Ist doch kein Widerspruch«, entgegnete Sergio gelassen. »Sich um sich selber kümmern und gleichzeitig anderen he l fen schließt sich nicht aus.«
»Das Problem ist die Masse«, wandte Joshua ein. »Da ve r liert der Einzelne den Bezug zu anderen und erst recht die Übersicht und will nur noch seine eigenen Interessen durc h bringen. Das Konzept der Nächstenliebe bleibt auf der Str e cke, wenn du das meinst.«
Stöhnend richtete sich Sergio in seinem Stuhl auf. »Das Problem ist das liebe Geld! Es regiert die Welt und ist u n gleich verteilt. Es versklavt die Menschen und lässt sie jegl i che Moral vergessen, weil es wie eine Art Suchtstoff wirkt. Es macht glücklich, aber nur für kurze Zeit, dann geht die Angst los, das Geld zu verlieren. Also muss mehr Geld rangeschafft werden … und schon kommt ein Teufelskreis in Gang!«
»Okay, Jungs, Lexi und ich müssen los«, sagte Adriana zu meiner Überraschung und stand mit ihrem Tablett auf.
»Sergio, willst du nicht auch in unseren Club?«, fragte J o shua beeindruckt von Sergios Ansichten.
Adriana sah ihn entsetzt an. »Bloß nicht! Bist du des Wahnsinns? Ich muss zuhause schon genug mit ihm rumdi s kutieren. Danke, aber nein danke!«
»Hey, chill mal!«, entgegnete Sergio abwiegelnd. »Ich bin längst ausgebucht.« Er sah schief lächelnd zu mir rüber und zwinkerte.
»Lexi, komm endlich«, rief Adriana streng.
Schmunzelnd erhob ich mich von meinem Platz und folgte ihr.
Einen Abend vor Weihnachten saß ich mit meiner Mutter in der Küche und trank heißen Sahlep, ein türkisches Zimtg e tränk aus Knabenkraut und Milch - wie mir Google später beibrachte. Seyda, unsere inzwischen allerliebste Nachbarin, hatte es uns zum Probieren in einer großen Kanne an die Tür gebracht und musste im Gegenzug einen Teller selbstgemac h te Weihnachtsplätzchen mitnehmen.
»Das ist bei uns ein sehr beliebtes Wintergetränk«, hatte sie uns freundlich erklärt. Und tatsächlich, es schmeckte ei n fach himmlisch.
Was meine Mutter anging, hatte ich die ganze Zeit schon gespürt, dass ihr etwas auf der Seele brannte und nun rückte sie damit heraus: »Lexi ... ich kann mir denken, dass du He i ligabend wahrscheinlich lieber bei Sergio und seiner Familie verbringen möchtest, und wollte dir sagen, dass das in Or d nung ist.«
Ihre matten Augen sahen mich unsicher an. Mit hastigen Fingern klemmte sie sich vorgefallene Haarsträhnen
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