verrueckt nach mehr
Etagenbett, sie oben und ich unten, und grübelten über den Hungertod. Natürlich wussten wir, dass es Blödsinn war, was unsere Mutter erzählte, aber so ein komisches Gefühl blieb trotzdem. Wir rechneten aus, wie viel Kinder wir schä t zungsweise auf dem Gewissen hatten und kamen auf circa 1500 bei Janna und 1000 bei mir.«
Wir schwiegen einen Moment. Die einzigen Geräusche entstanden durch unser genussvolles Schmatzen. Sergio trank seine Tasse leer und wischte den Kakaobart mit dem Handr ü cken ab.
Er kräuselte die Stirn.
»Und dann redeten wir darüber, wie ungerecht es ist, wenn Kinder sterben, weil sie ja noch nicht viel vom Leben hatten.«
»Ja, das ist schrecklich«, stimmte ich ihm seufzend zu.
Sergio sah mich nachdenklich an. »Du sagst es. Inzw i schen weiß ich allerdings, dass diese ganze verdammte Welt ziemlich ungerecht ist und ungerecht bleiben wird«, sagte er ernst. »Da können auch Typen wie Joshua Meyer nichts dran ändern.«
»Ich finde es gut, dass sie es versuchen«, entgegnete ich.
»Ja, find ich auch. Nein, echt ... und trotzdem ist es ve r gebliche Liebesmüh, wenn du mich fragst.«
Ich legte meinen leeren Teller weg und rutschte dicht an ihn heran. Das Thema in eine andere Richtung zu lenken, e r schien mir angebracht. »Und ... ist es vergebliche Liebesmüh, wenn ich gestehe, dass ich nicht genug von dir kriegen kann und einfach nur verrückt nach mehr bin?«
» Verrückt nach mehr ...?« Er blickte interessiert auf. »Nach wie viel mehr, Lexi?«, lächelte er erwartungsvoll.
»Sehr viel mehr!«
»Meinst du jetzt ... auf diese Nacht bezogen oder ...«
Ich unterbrach ihn mit einem Kuss, der es ihm unmöglich machte weiterzureden.
BB Boxclub 1950
In den Tagen zwischen Weihnachten und Silvester herrsc h te in der Stadt hektische Betriebsamkeit, die man an jeder Straßenecke beobachten konnte. Die besinnliche Zeit war vo r bei, die Geschäfte hatten wieder geöffnet, lockten mit Raba t ten und überall wurde Feuerwerk verkauft.
Meine Mutter musste leider zurück an ihren Arbeitsplatz, hatte aber für Silvester Urlaub bekommen, worüber sie sehr glücklich war. Sie teilte mir leicht verlegen mit, dass Derek - mit ein wenig Glück - auch frei bekommen würde, und da fasste ich mir ein Herz und fragte nach ihrem Status: »Seht ihr euch wieder öfter, Mama?« In meinem Tonfall schwang b e reits freudige Hoffnung mit.
Wir standen im Flur. Ich hielt ihr die Jacke auf, während sie eilig in ihre Winterboots stieg. Sie hatte an diesem Tag im Bad etwas getrödelt, doch dafür sah sie jetzt frisch und sehr hübsch aus. Möglicherweise hatte ich mir unnötige Sorgen gemacht, was ihre »Bettaktion« mit Derek betraf.
»Hm?« Als hätte sie mich nicht verstanden, sah sie mich fragend an.
Ich rollte mit den Augen. »Mama!?«
Dann seufzte sie und meinte: »Ja ... ich denke schon. Ich ... also ... ähm ... Er durfte ja neulich in meinem Bett schlafen, wie du mitgekriegt hast, Lexi ... und er war so ein braver Z u hörer, als ich ihm aus einem Buch vorlas, dass ich ... also, ich konnte nicht nein sagen, als er mich wegen Silvester gefragt hat. Ich dachte mir, du gehst sicher mit deinen Freunden auf eine tolle Party, da sollte ich vielleicht auch etwas unterne h men?«
Komisch , dachte ich spontan. Auf einmal hatte ich das G e fühl, mich möglicherweise geirrt zu haben, was meine Mutter, Derek und jene Nacht anging.
Sie schlüpfte in ihre Jacke und begann sie zuzuknöpfen.
»Mama, habt ihr euch bloß gegenseitig vorgelesen ... oder wie?«
»Nein ... nur ich habe vorgelesen. Derek hat ab und zu Bemerkungen eingeworfen ...«, antwortete sie ruhig.
Wie schwiegen einen Moment lang.
»Ja, aber ich meine, ob ihr ...« Ich starrte sie irritiert an.
Meine Mutter starrte unsicher zurück, und da haute ich es einfach raus: »Habt ihr nun miteinander geschlafen oder nicht?«
»Lexi, du ... du bist ganz schön direkt, meine Liebe!«
»Mama, was war denn nun?«
Sie runzelte die Stirn. »Na ja ... wir haben ziemlich he m mungslos geknutscht ... Er küsst wirklich gut, das muss ich ihm lassen.«
»Und mehr nicht?« Ich hatte keine Ahnung, ob ich übe r rascht, enttäuscht oder vielleicht doch erfreut sein sollte ... Ich war einfach nur verwirrt.
»Lexi, ich kann‘s nicht tun ... ich bin noch nicht so weit. Und Süße ... nimm‘s mir nicht übel, aber ich muss jetzt wir k lich los, sonst komm ich zu spät.«
Seufzend öffnete ich die Wohnungstür für sie. Sie klemmte sich ihre
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