verrueckt nach mehr
mich einigermaßen beruhigt hatte. Wortlos schob ich sie von mir und lief in mein Zimmer, krabbelte in mein Bett, zog die D e cke über den Kopf und schloss die Augen.
Ich war so unendlich erschöpft. Die schrecklichste Woche meines Lebens lag hinter mir, und ich hatte keine Ahnung, was noch alles kommen könnte. Dabei hatte ich das neue Jahr so optimistisch begonnen ...
Bevor ich einschlief, sah ich nach, ob die Sorgenpüppchen noch da waren. Doch ich erzählte ihnen nichts.
Obwohl es noch nicht mal Abend war, schlief ich ein und wachte erst auf, als mich meine Mutter am nächsten Morgen für die Schule weckte.
Ich stand auf, ging duschen, zog mich an, trank einen K a kao, warf meinen Rucksack über die Schulter und machte mich auf den Weg. Wenn ich in einen normalen Alltag zurüc k zufinden wollte, durfte ich mich nicht weiter bemitleiden und schon gar nicht zulassen, dass diese furchtbare Angst in mir mich auffraß.
Als ich unser Klassenzimmer betrat und Adriana auf ihrem Platz vorfand, war ich so erfreut, dass mir fast die Tränen k a men. Seit dem Unfall war auch sie das erste Mal wieder in der Schule. Ich setzte mich neben sie und umarmte sie innig. Wir verstanden uns wortlos. Keinem von uns beiden entging, wie unsere Mitschüler uns betreten aus den Augenwinkeln beäu g ten und schnell wegsahen, wenn wir in ihre Richtung blickten. Einige Mutige kamen dann doch noch an unseren Tisch und drückten Adriana gegenüber ihr Beileid aus. Sie boten ihre Hilfe an, wussten aber nicht so ganz bei was.
Dana und Nele standen als Letzte vor uns und machten b e troffene Gesichter. »Herr Blum hat es uns allen erzählt«, ve r rieten sie. »Das ist ja so schrecklich. Herzliches Beileid. Ihr könnt jederzeit unsere Aufzeichnungen kopieren.«
Adriana und ich nickten, erstaunt über das halbwegs a n ständige Verhalten der beiden, bis sie mit der nächsten Frage uns wieder daran erinnerten, warum wir sie nicht ausstehen konnten.
»Und kommt Sergio jetzt auch wieder zur Schule?«
Wäre dieses verräterische, hoffnungsvolle Funkeln in i h ren Augen nicht gewesen, hätte man ihre Frage als harmlose Interessenbekundung deuten können.
Adrianas Augen verengten sich. »Herr Blum ist gleich da!«, sagte sie bissig.
Dana und Nele sahen zur Tür, wechselten anschließend verunsicherte Blicke untereinander und gingen ohne weitere Worte zu ihren Plätzen.
Es dauerte noch ein paar Minuten, bis Herr Blum tatsäc h lich auftauchte. In dieser Zeit erzählte mir Adriana aufgeregt, dass sie mit Joshua lange gesprochen hätte. Er sei einfach u n glaublich toll und sie sei so dankbar, dass sie ihn habe. Sie wolle sich mit ihm zusammen für mehr Gerechtigkeit in der Welt engagieren. Sie wolle für Toleranz und Meinungsfreiheit kämpfen. Sie wolle, dass die Menschen mit allen Lebewesen auf unserem Planeten sorgsam umgehen, sie respektieren und schützen. Endlich wisse sie, was ihre Mission im Leben sei. Sie quoll fast über vor Ideen und Zielen, die sie mit Joshua zusammen verfolgen wollte.
Ich bekam den Eindruck, als hätte sie einen Weg gesucht und gefunden, mit ihrer Trauer fertig zu werden. Sich auf gl o bale Problemthemen zu stürzen, würde sie von sich selber gut ablenken. Und mit Joshua hatte sie den idealen Partner dafür an ihrer Seite.
Er war wirklich ein Schatz, kümmerte sich in den Pausen und in der Mensa ganz rührend um uns. Mühelos schaffte er es, einfühlsam mit uns umzugehen, ohne nutzlose Weisheiten vom Stapel zu lassen wie beispielsweise »Das Leben geht weiter« oder »Alles wird gut«. Auch musste er nie zwanghaft so zu tun, als wäre nichts geschehen, denn er wusste, nichts war mehr wie vorher, vor allem nicht für Adriana.
Am zweiten Tag, als wir in der Mensa zusammensaßen, redeten wir auch über Sergio. Joshua war der Meinung, dass ich ihn unbedingt anrufen sollte, wenn er sich nicht meldete, denn ich hätte das Recht und die Pflicht dazu.
Er sprach mir aus der Seele!
»Du musst ihm zeigen, dass du für ihn da bist«, ermutigte er mich und fügte hinzu: »Ich könnte mir vorstellen, dass er sich gerne in irgendein finsteres Loch verkriechen oder sein Leben auf den Kopf stellen möchte, so ganz ohne Sinn und Verstand.«
Wir wurden alle sehr nachdenklich.
Joshuas Bemerkung traf den Nerv. Auch wenn sie weh tat, war sie möglicherweise die bittere Realität, mit der wir uns auseinandersetzen mussten.
»Lexi ...«, sagte Joshua noch, bevor er zurück zum Unte r richt musste. »Wenn ein Mensch
Weitere Kostenlose Bücher