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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Welt, eine gefrorene Leere, die von den wehmütigen Tönen einer eisernen Harfe vibrierte.
    Über den gefrorenen Rand der Leere erhob sich ein feuriger Ball, aus dem scharlachrote Flüsse niederregneten. Er wußte nun, daß das Ende gekommen war, daß es vor diesem bleichen, glühenden Kreis des Verderbens kein Entkommen mehr gab.
    Er lag auf den Knien, den Kopf im schwarzen Auswurf
    vergraben. Plötzlich packte ihn eine Hand im Genick und warf ihn rücklings in den Schmutz. Seine Arme waren wie
    festgenagelt. Über ihm kniete eine nackte Hexe und drückte ihre knochigen Knie in seine Brust. Sie küßte ihn mit
    schmutzigen Lippen, und ihr Atem war heiß wie der einer jungen Braut. Er fühlte, wie sie ihre sehnigen Arme um ihn schloß und ihre Lenden an ihn preßte. Ihr Unterleib wurde weit und weich, ihr Bauch wurde weiß und groß; sie lag auf ihm wie eine schwere Blüte, und die Blätter ihres Mundes öffneten sich lüstern. Plötzlich schimmerte in ihrer klauenartigen Hand ein Messer; es fuhr nieder, und Blut spritzte über seinen Hals und in die Augen. Seine Trommelfelle platzten, und aus seinem Mund ergoß sich ein Blutstrom. Sie beugte sich zu ihm herab und rieb ihre schuppigen Lippen an seiner Wange. Sie hob ihr blutbesudeltes Gesicht, und wieder senkte sich das Messer herab, fuhr seitlich an seinem Gesicht entlang, grub sich in die Kehle und legte die Gurgel frei. Rasch und geschickt schnitt sie ihm die Ohrläppchen ab. Der Himmel war ein einziger großer scharlachroter Fluß, in dem es von Schwänen und silbrigen Walen wimmelte; ein hohles,
    höhnisches Schnarren erfüllte die Leere, und die Schwäne flogen herab, und ihre langen Hälse vibrierten wie gespannte Saiten…
    Es gab einen Knall, und die Tür flog auf. Er hörte seinen Namen. Er drehte sich um und seufzte tief.
    Hildred warf sich auf das Bett. »Tony, was hast du getan?«
    Sie nahm ihn in die Arme und wiegte ihn, wiegte ihn vor und zurück. Sie waren wieder vereint, wie sie es immer gewesen waren, wie sie es immer sein würden. Nichts, nichts würde sie je wieder trennen können.
    Und dann klopfte es laut an der Tür. Hildred zitterte, zuckte in seiner Umarmung. »Lieg still!« flüsterte er und drückte sie fester an sich. Wieder klopfte es, lauter diesmal, gebieterisch, drohend.
    Vanya tritt ein… wie die Modjeska. Überschaut die Szene mit einem kühlen, alles einbeziehenden Blick. Steht neben dem Bett und betrachtet die hingestreckte Gestalt, als wäre sie ein Bild des heiligen Immanuel. Sie spricht mit Hildred, ihre Stimme ist leise und vertraulich, und während sie spricht, hebt sie den Blick langsam vom Bett und richtet ihn auf einen unsichtbaren Gegenstand, der weit entfernt, jenseits der Wand ist.
    Hildred beugt sich fürsorglich über ihn. »Vanya fragt, ob sie irgend etwas für dich tun kann«, sagt sie.
    Er zieht sie zu sich hinab. »Sag ihr, sie soll gehen«, flüstert er.
    Hildred richtet sich auf und sieht Vanya verwirrt an. »Er möchte sich ausruhen«, sagt sie. »Das ist gut, Tony. Leg dich hin und ruh dich aus. Wir gehen kurz weg. Wir sind bald wieder da.«
    Vanya war bereits hinausgegangen. Sie ging die Treppe
    hinunter.
    »Und du kommst allein zurück?« fragte er.
    »Ja, ich komme allein zurück«, antwortete Hildred.
    »Dann nimm«, sagte er und drückte ihr den
    zusammengeknüllten Brief in die Hand.
    Genau zweieinhalb Stunden später kehrte Hildred zurück –
    mit Vanya. Die beiden waren ausgesprochen guter Laune. Sie summten leise vor sich hin, während sie im Zimmer hin und her eilten. Sie setzten sich auf den Bettrand und umsorgten ihn wie hilfreiche Engel.
    »Warum machst du ein so unglückliches Gesicht?« fragte Hildred. »Wir wollten eigentlich gar nicht so lange
    wegbleiben.«
    »Die Zeit ist wie im Flug vergangen«, sagte Vanya und sah mit ihrem abwesenden Gesichtsausdruck und verschleiertem Blick starr geradeaus.
    »Ich wollte, ihr würdet einfach still dasitzen«, sagte er, »und nichts sagen.«
    »Du bist nervös«, sagte Hildred, und dann fiel ihr plötzlich ein, daß sie ja etwas hatte wieder mitbringen wollen.
    Einige Zeit nachdem sie gegangen waren, stand er auf, schloß die Fenster und begann sich ruhig anzuziehen. Auf dem
    Schreibtisch lag Hildreds Handtasche, die sie bei ihrer Rückkehr achtlos dorthin geworfen hatte. Der Brief, den er ihr gegeben hatte, sah daraus hervor – ein wenig zerknitterter als zuvor. Er nahm ihn heraus und glättete die Seiten, und dabei bemerkte er, daß sie nicht in der

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