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Verrückte Zeit

Verrückte Zeit

Titel: Verrückte Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Wilhelm
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hast, hat er sich da wie die anderen Jungs von drüben benommen? Das kann er doch nicht, oder? So einfach hin- und herreisen?
    – Er hat einen ganz normalen Eindruck gemacht, wenigstens meistens.
    – Schscheiße! Wenn ich das gekonnt hätte! Das wissen, was ich hier gesehen habe, und dafür sorgen, daß der gleiche Mist nicht noch mal passiert! Das wäre eine heiße Sache!
    – Genau deswegen dürfen wir nichts anderes tun als zusehen, und natürlich unsere Erfahrungen machen. Kein besserwisserisches Dazwischenpfuschen, verstehst du? Das würde den ganzen Karren aus der Bahn werfen, begreifst du das nicht?
    – Es gab da mal so ein paar Typen, denen hätte ich wirklich gern eins verpaßt. Ich habe sie beobachtet und versucht, mir was auszudenken, wie ich sie erwischen könnte, um ihnen einen Knick in den Schwanz zu machen. Wenn mir was eingefallen wäre, hätte ich es gemacht.
    – Ja, klar. Wahrscheinlich haben wir alle am Anfang solche Gefühle. Da ein bißchen mitmischen, dort etwas zurechtrücken, an diesem und jenem herumflicken. Chaos wäre das Ergebnis, totales Chaos, weißt du? Und ist es nicht komisch, wie wenig die Dinge einem nach einer gewissen Zeit noch bedeuten? Als ich damals zufällig dem Mann begegnet bin, der mich erschossen hat, haben wir Höflichkeiten ausgetauscht, unsere Ansichten miteinander verglichen, genauso, wie wir zwei das auch schon so oft gemacht haben.
    – Yeah, ich weiß. Die beiden Kerle, mit denen ich abrechnen wollte, die haben auch gehofft, mir würde was einfallen, denn die hatten auch wieder ein paar Typen auf der Abschußliste. Manchmal habe ich mich gefragt, wie das kommt, daß wir jetzt alle hier zusammen sind und der ganze Scheiß unwichtig ist.
    – Hast du dich gefragt? Jetzt nicht mehr?
    – Nee. Ich habe mich mit einem von den Professoren ein paarmal darüber unterhalten. Er hat gesagt, wir müssen alle Gedanken in Umlauf halten, auch die, die uns nicht so liegen. Er hat gesagt, wir sind so was wie die Erinnerung für die dort drüben. Ohne uns ist alles futsch, gibt’s keine Erinnerung mehr.
    – Eine lebendige Bibliothek der Gedanken, mein Freund. So sehe ich aus. Gedanken, Erinnerungen, Ideen.
    – Lebendig! Schscheiße!
    – Im übertragenen Sinne.
    – Totes Fleisch, Mann, im übertragenen Sinne. Aber wenn dieser rothaarige Esel wieder ein und aus geht, was soll dann der ganze Zinnober noch?
    – Ich glaube, das ist kein Anlaß zur Besorgnis. Pläne werden gemacht, Schemata werden aufgestellt, hartes Durchgreifen wird erwogen.
    – Genau. Was ich glaube, ist, daß sie ihm den Arsch aufreißen werden.
     
    Lauren ließ den Topf, den sie in den Händen hielt, zu Boden fallen. Sie schloß fest die Augen, dann öffnete sie sie wieder. Er war verschwunden. Aber er war dagewesen. Ein nackter Mann, ein Phantom, gespenstisch, durchsichtig. Er war dagewesen. Mit schwachen Beinen drehte sie sich um und ging in ihr Büro, wo sie sich zitternd in einen der elfenbeinfarbenen Sessel sinken ließ. Die Angst vor dem Wahnsinnigwerden drängte aus der Höhle, die sie sich in ihrem tiefsten Innern gegraben hatte, und sie nickte. Sie war im Begriff, verrückt zu werden, genau wie sie es immer schon befürchtet hatte.
    Sie starrte mit leerem Blick in die Luft. Sie glaubte nicht an Gespenster. Sie sprach es sogar laut aus. »Ich glaube nicht an Gespenster.« Sie hatte ein Trugbild gesehen, eine Lichtspiegelung am Ende des Gangs. Oder war es eine echte Halluzination gewesen? Nackt? Sie biß sich auf die Lippe und versuchte, der Halluzination im Geiste Kleider anzuziehen, doch es gelang ihr nicht; er war nackt gewesen. Warum? Weil er seine Kleider bei seinem ersten Verschwinden auf dem Boden liegengelassen hatte. Ein Kichern stieg in ihr hoch, und sie biß sich fester auf die Lippe. Sie hatte nie gekichert, es war nicht erlaubt. Niedliche kleine Mädchen durften kichern, hatte ihr ihre Schwester boshaft erklärt, aber nicht Mädchen, die alle anderen Menschen überragten. Sie hatte damals nicht gekichert und würde es jetzt auch nicht tun. Statt dessen holte sie tief Luft, und noch einmal, dann zwang sie sich aufzustehen. Sie hatte den Blumentopf fallenlassen und auf dem Gang eine Schweinerei hinterlassen. Die beiden anderen Töpfe standen auf der Fensterbank ihres Büros; sie hatte das Band aus dem Recorder genommen. Sie könnte nach Hause gehen, sobald sie den Dreck, den sie gemacht hatte, beseitigt hätte.
    Sie trat vorsichtig aus dem Empfangsraum, wobei sie in beide Richtungen des

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