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Verrückte Zeit

Verrückte Zeit

Titel: Verrückte Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Wilhelm
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Gangs spähte, dann legte sie lautlos die wenigen Schritte bis zu dem zerbrochenen Blumentopf und der verstreuten Blumenerde zurück. Die kleine Pflanze mit den tränenden Herzen sah mitgenommen aus, als ob sie Grund zum Tränenvergießen hätte. Sie betrachtete die ganze Bescherung eingehend und vermied geflissentlich, zu dem Fenster am Ende des Gangs jenseits der Aufzüge zu blicken. Doch das Licht, das durch das hohe Fenster hereinströmte, war strahlend hell, und an der Stelle, an der der Gang T-förmig abzweigte, war deutlich ein neu eingesetztes Stück Teppichboden zu erkennen. Sie ertappte sich dabei, daß sie es verständnislos anstarrte. Erst vor zwei oder drei Wochen hatte Rich dort im Gang Sodawasser verschüttet. Sie war dazugekommen, wie er dort mit schuldiger Miene gekniet und es mit einem Schwamm aufgesaugt hatte. Der Fleck hatte seinen Bemühungen widerstanden. Jetzt war er weg. Jeder Irrtum war ausgeschlossen; der Teppich war vom Fenster bis zum Ansatz, wo sie sich befand, erneuert worden.
    Steifbeinig stand sie auf und ging in den Empfangsraum der Waycross-Klinik zurück; sie holte ihre Handtasche und ging mit einem Gang wie ein Zombie hinaus. Sie sah die Scherben nicht an, auch nicht die Erde und auch sonst nichts im Gang. Sie bewegte sich behutsam, als ob sie Angst hätte, jemand könnte sie hören, sie aufhalten. Sie wandte sich den Aufzügen auf der anderen Seite des Gebäudes zu, wie sie es auf Anweisung der Polizei am Abend vorher hatten tun müssen.
    Sie hätte jemanden fragen können, wann der Teppichboden ausgewechselt worden sei, redete sie sich ohne Überzeugungskraft ein, und sie wußte, daß sie es nicht tun würde. Wenn es sich um eine Verschwörung handelte, dann hätte sie damit verraten, daß ihr Verdacht erregt worden war. Ihre Gedanken jagten wild durcheinander, kreuzten sich, prallten zusammen. Sie hatte gesehen, wie ein Mann verschwand, was die anderen auch alle sagen mochten. Die Polizei gab vor, ihr nicht zu glauben, und das deutete auf eine Verschwörung oder auf irgend etwas Verhängnisvolles hin, wie damals im Fall jener Frau in Paris, die auf mysteriöse Weise verschwunden war, bei dem die Polizei so tat, als sei nichts geschehen, und es sich später herausstellte, daß sie die Pest hatte. Und vielleicht hatte der rothaarige Mann etwas noch Schlimmeres, etwas viel Schlimmeres. Es gab Impfstoffe gegen die Pest, es mußte also etwas viel Schlimmeres sein. Warum hatte er sein Skizzenbuch mit Zeichnungen von ihr gefüllt? Oder steckte auch dahinter die Polizei? Warum hatte er nicht wenigstens ein Leintuch umhängen, das wäre doch das mindeste? Warum hatte sie gerade ihn in ihrer Halluzination gesehen? War es Schuldbewußtsein? Bestrafte sie sich dafür, weil sie die Sache einfach auf sich hatte beruhen lassen, weil sie nicht versucht hatte, irgend etwas zu unternehmen, seine Familie oder Freundin zu benachrichtigen, oder seine Kinder. Irgend jemand müßte sich doch Sorgen machen, weil er nicht nach Hause kam, sich fragen, wo er sein mochte. Gehirnschädigungen konnten Halluzinationen hervorrufen, doch nicht Schuldbewußtsein, und wenn sie eine Gehirnschädigung hatte, einen Tumor vielleicht, dann könnte sie wahnsinnig werden. Schuldbewußtsein trieb die Menschen nicht in den Wahnsinn. Also dann ein Tumor. Denn was auch immer sonst geschehen mochte, eins wußte sie nun endlich ganz genau – daß sie im Begriff war, wahnsinnig zu werden.
    Sie hatte sich für die Psychologie anstatt für die Psychoanalyse entschieden, um durch ihr eigenes Verhalten ihre Angst vor dem Wahnsinn zu bannen. Das eigene Verhalten war das einzige, das zählte. Leute konnten sich ihr Leben lang auf der Couch alles mögliche von der Seele reden, sie würden keinen Schritt weiterkommen, doch in der Klinik zielte man auf Verhaltensveränderungen, und das brachte Erfolge. Und sie selbst sollte ihr Verhalten auch verdammt schnell ändern, fügte sie hinzu. Sie schloß eine Sekunde lang fest die Augen und öffnete sie dann wieder, um festzustellen, ob ihre Sicht verschwommen war. Sie war es nicht. Doch der Tumor konnte sich an einer Stelle befinden, wo er keine Auswirkung auf das Sehvermögen hatte, wenigstens nicht vor dem Endstadium. Ihre Gedanken jagten immer schneller, und ihr Körper bewegte sich mit ihnen immer schneller. Als sie in der unteren Eingangshalle angekommen war, rannte sie regelrecht und bemerkte nicht einmal die beiden Männer, die sie mit großem Interesse beobachteten. Der eine war der

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