Verrückte Zeit
Sein Vertrauen in seine Fähigkeit, sich so oft und so schnell neu zu formieren, war nicht allzu groß. Außerdem war es ermüdend, und er stellte auch fest, daß er Hunger hatte. Sie hatte übrigens nur ein einziges Abendessen gekauft. Jetzt ging sie wieder in einen Laden, und er nahm seinen Mittelpunkt fest in den Griff, ließ die anderen Teilchen davonschießen.
Lauren sah sich unschlüssig um. Ein Geschäft für Computer-Software? Einige Jugendliche alberten mit dem Verkäufer herum, der in ihrem Alter war, und sie alle bedienten sich einer Sprache, die ihr fremd war. Zwei weitere Jungen waren so sehr in ein Computerspiel vertieft, so sehr darin versunken, daß sie nicht einmal Notiz davon nahmen, als sie bei ihnen stehenblieb und ihnen eine Weile zusah. Sie nahm ein verpacktes Spiel in die Hand und tat so, als ob sie die Packungsaufschrift läse, doch in Wirklichkeit kämpfte sie gegen ein Gefühl der Panik an. Was machte sie hier?
»Kann ich Ihnen helfen?« fragte der Verkäufer, der neben sie getreten war. Er war so jung, gerade erst aus dem Ei geschlüpft, dachte sie fast zornig.
»Ich sehe mich nur um«, sagte sie und nahm ein anderes Computerspiel in die Hand.
»Was für einen Computer haben Sie?«
»Ich habe keinen. Ich wollte sagen, es ist nicht für mich. Meinen … meinen Neffen.« Sie fühlte sich fast schuldig, als sie den Karton wieder hinlegte. Und wenn sie jetzt diesem Jungen, der kaum mehr als ein Kind war, sagte, daß sie Angst hatte, allein zu sein, weil sie vielleicht Halluzinationen von einem nackten Mann mit roten Haaren haben könnte? Sie trat einen Schritt von ihm zurück, drehte sich um und rannte davon.
Der Agent nickte, um sich selbst etwas zu bestätigen. Das entsprach genau seinem Verdacht. Sie hatte die Zeit totgeschlagen, und jetzt war es soweit, daß der Kontakt zustande kommen sollte. Er verringerte den Abstand zwischen ihnen noch mehr. Und jetzt wurde Corky seine Anwesenheit bewußt. Es war nicht klar, warum er Lauren verfolgte, aber es bestand kein Zweifel daran, daß es so war, und Corky wollte, daß sie nach Hause ginge und zur Ruhe käme, damit er Gestalt annehmen und sich mit ihr unterhalten und vielleicht sogar mit ihr essen, zumindest aber noch eine Banane verdrücken könnte.
Genau in diesem Moment brüllte der Junge vom Computerladen: »He, Lady, Sie haben Ihren Schirm vergessen!«
Lauren drehte sich um und ging zurück. Ein Mann, der ihr entgegenkam, hechtete mit einem Satz in den Laden und fing an, sich angelegentlich mit den Spielen zu beschäftigen, während Corky mit ihm hineinschwebte und sich ein Paar Hände schuf, die dem Agenten eifrig Computerspiele in die Tasche steckten. Zunächst verdutzt, dann erschreckt schleuderte sie der Agent wieder hinaus, doch Corky schob für jedes, das herausflog, ein neues hinein.
»He, Mann, was machen Sie denn da?« fragte der Verkäufer, der herankam und sah, wie Computerspiele in seiner Tasche verschwanden und wieder erschienen.
»Nichts, nichts.« Er versuchte, den Laden zu verlassen, doch jetzt stellten sich die drei Jugendlichen, die den Verkäufer besucht hatten, vor ihm auf, und der Verkäufer wählte hastig eine Telefonnummer. »Geht mir aus dem Weg«, forderte der Agent sie auf und versuchte, an ihnen vorbeizukommen, doch die Jungen bildeten eine Menschenmauer, und wenn sie ihn auch nicht angriffen oder tatsächlich Gewalt anwandten, waren sie doch unüberwindlich.
Corky schwebte davon, um sich zu Lauren zu gesellen. Kurze Zeit später hörten sie eine Sirene; keiner von beiden drehte sich um.
Sie hatte wirklich Angst, nach Hause zu gehen, gestand sie sich offen ein. Sie hatte Angst, allein zu sein. Sie wurde niemals von Halluzinationen heimgesucht, wenn sie unter Menschen war, und sie zögerte die Voraussetzung, Halluzinationen zu haben, weiter hinaus, indem sie immer noch herumtrödelte. Sie beschleunigte ihren Gang, wütend über sich selbst. Dieser Zustand würde sich nicht so einfach vertreiben lassen; sie mußte sich ihm stellen, mit ihm umgehen, ihm auf den Grund gehen. Und sie könnte genausogut gleich damit anfangen.
Sobald sie sicher in der Eingangshalle des Gebäudes mit ihrem Apartment angekommen war, strömte Corky weg von ihr, durch die Decke, die oberen Stockwerke und durch die Wände in ihre Wohnung, wo er seinen Muskel anspannte und anfing, Gestalt anzunehmen. Er brauchte Zeit, um sich wieder zu ordnen, und Zeit, um etwas zum Anziehen zu finden. Kein Wunder, daß sie immer so erschreckt war,
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