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Verrückte Zeit

Verrückte Zeit

Titel: Verrückte Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Wilhelm
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ihrem Büro ging, blaß und zerschlagen, folgten ihr der Mittelpunkt und die ihn umkreisenden Partikel.
    Der Aufzug war bestimmt überfüllt, dachte Corky, als sie darauf zugingen. Drei oder vier Leute warteten bereits, andere waren vermutlich schon darin und warteten in den anderen Stockwerken, um einzusteigen. Er entspannte den Muskel und zerfloß fast vollständig; um das zu verhindern, zappelte er heftig und prallte gegen einen Chiropraktiker, der sich mißtrauisch umsah. Corky unternahm einen erneuten Versuch, und diesmal wählte er das richtige Maß. Er atmete tief ein und wappnete sich für die Zerreißprobe, die ihm in der engen Aufzugkabine bevorstand. Vielleicht könnte er über ihr schweben, dachte er, doch als sie in den Aufzug trat, gab er diesen Plan auf. Sie war zu groß. Er versuchte, sich zusammenschrumpfen zu lassen, ohne die Beherrschung über sich zu verlieren, und blieb so dicht bei ihr, wie er konnte, ohne ihr auf die Schultern zu steigen. Sie blickte mißbilligend hinter sich.
    Die Anstandsregeln geboten in der erzwungenen Vertraulichkeit dieser Situation, daß niemand den anderen zur Kenntnis nahm, niemand den anderen wirklich ansah, niemand sprach, oder, wenn jemand mehr als nach den Umständen unerläßlich berührt wurde, derjenige ohne zu murren auswich oder sich leicht umdrehte und sich unmerklich in die Richtung des Übergreifers bewegte, ohne Augenkontakt, noch mit deutlichen Anzeichen des Mißfallens. Sie signalisierte, daß ihr etwas nicht behagte, und drehte sich wieder zur Tür hin, als der Aufzug im sechsten Stock hielt. Es stiegen noch einige Leute ein, Leute drückten nach hinten, und jemand umfaßte ihre Hüfte. Diesmal drehte sie sich ganz herum und sah dem grobschlächtigen Mann, den sie schon oft im Haus gesehen hatte, eindringlich ins Gesicht.
    »Lassen Sie das! Was bilden Sie sich ein!«
    Er beugte sich auf eine sonderbare Art nach vorn, als ob er einen Schlag in die Magengrube erhalten hätte. Äußerst würdevoll erwiderte er: »Ich versichere Ihnen, ich mache gar nichts! Ich glaube, ich bin derjenige, mit dem etwas gemacht wird.« Er streckte die Hand aus und berührte Corky, zog sie zurück, streckte sie wieder aus, und seine Finger streiften etwas, das Menschenhaar hätte sein können, eine Nase …
    Corky löste sich auf und füllte den Aufzug mit Teilchen von sich, wobei er sich sehr darauf konzentrierte, den Mittelpunkt zusammenzuhalten. Er schwebte direkt über den Köpfen der Passagiere und hüpfte leicht in den Luftströmen von der Klimaanlage hierhin und dorthin.
    Als sich Corky auflöste, fuhr die Hand des Mannes ungehindert durch die Luft; er verlor das Gleichgewicht, versuchte, sich zu fangen, und grapschte schließlich nach Laurens Arm.
    Empört stieß sie ihn zurück; hinter ihm stieß ihn jemand fluchend wieder in die andere Richtung, und plötzlich war der Aufzug voll von fluchenden, schupsenden, drängelnden besseren Angestellten. Nachdem im sechsten Stock noch Leute eingestiegen waren, hatte der Aufzug die Grenze seiner Kapazität erreicht, und er fuhr in einem durch bis in die Eingangshalle und öffnete sich. Der Sicherheitsbeamte starrte fassungslos herüber, als so viele Leute daraus hervorquollen, stolpernd, einige versuchend, noch den einen oder anderen letzten Vergeltungshieb zu plazieren, einige der Hysterie nahe davonrennend, einige mit erhobenen Aktentaschen wie Schilde, einige mit gezückten Schirmen wie Schwerter.
    »Was, zum Donnerwetter?« murmelte der Sicherheitsmann und rannte zum Aufzug, doch bis er dort ankam, hatten sich die meisten der Passagiere schon zerstreut. Er sah dem einen und dem anderen mit verdutztem Gesicht nach. Dann sah er in die Aufzugskabine. Er gab auf. Jetzt war seine Aufmerksamkeit von der Steele in Anspruch genommen, Dr. Steele von der Klapsmühle. Sie spazierte mit hocherhobenem Kinn daher, wich automatisch den anderen Leuten aus, wie man es in einer Menschenmenge im allgemeinen tat, bis sie plötzlich einen Satz machte und beinah hingefallen wäre.
    Lauren fing sich gleich wieder und blickte sich schnell um, überzeugt davon, daß der Idiot aus dem Aufzug sie verfolgt hatte, um seine abartige Belästigung fortzusetzen. Es war niemand da, dem sie direkt hätte vorwerfen können, sie gestoßen zu haben, aber wenn sie gestoßen wurde, dann merkte sie es unfehlbar. Achtsam ging sie weiter.
    Sobald sie in der Eingangshalle angekommen waren, spürte Corky das Signal, das seiner Auflösung voranzugehen pflegte.

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