Verrückte Zeit
ich bin faul.«
»Mich hat noch niemand in meinem ganzen Leben als faul bezeichnet!« rief sie daraufhin aus. »So, wie ich immer gearbeitet habe! Ich hatte meinen Doktortitel mit siebenundzwanzig erworben! Habe während der ganzen Studienzeit nebenher gearbeitet und gleich einige Monate nach meinem Abschluß meinen Job gefunden. Ich hatte niemals Zeit, faul zu sein.«
»Ich!« brüllte er. »Ich spreche von mir!«
»Ein Feigling?« fragte sie. »Du hast ›Feigling‹ gesagt. Warum?«
»Ich laufe immer vor den Dingen davon, anstatt mich ihnen zu stellen. Ich gehe allen Schwierigkeiten aus dem Weg. Mein Bruder Timmy war dauernd in Schlägereien verwickelt, hatte an drei Tagen in der Woche eine blutige Nase, und ich kam sehr früh zu dem Entschluß, daß das blöd ist. Ich war ein Feigling. Das könnte dir jeder bestätigen.«
Sie nickte. »Wenn ich Joanna gewesen wäre, hätte ich es nicht gewagt, mich in den Kampf zu stürzen. Ich hätte Angst gehabt, etwas davon zu sagen, daß ich Stimmen höre.«
»Yeah. Ich weiß. Jedesmal, wenn Joanna über etwas sprechen wollte, dann bedeutete das, daß sie mir erklären wollte, was mit mir nicht stimmte. Ich mußte zuhören. Das bedeutete ›reden‹, und ich hatte Angst, nein zu sagen.«
»Am Anfang wirst du ausgelacht, wenn du etwas von Stimmen erzählst oder irgend etwas erwähnst, das nicht als normal angesehen wird, doch wenn du darauf beharrst, dann schickt man dich in ärztliche Behandlung und gibt dir Beruhigungsmittel und verordnet dir Sitzungen beim Psychiater, bis dir alles ausgetrieben wird, das nicht vollkommen normal ist. Und die anderen beurteilen, was normal ist.«
»Yeah. Ich bin viel ausgelacht worden. Am schlimmsten war, als man mich als niedlich bezeichnete. Ein halbwüchsiger Junge möchte nicht, daß ihn ein hübsches Mädchen niedlich findet, nein danke. Das tut weh, weißt du.«
»Mich hat man niemals als ›niedlich‹ bezeichnet. In meinem ganzen Leben hat mich noch nie jemand ›niedlich‹ gefunden. Vielleicht hielt man mich für ein abartiges Monster; das hat man mir zwar nie ins Gesicht gesagt, aber ich wußte, was die anderen dachten.«
»Und manchmal fiel ihnen ein, daß ich irgend etwas für sie erledigen könnte, einen Telefonanruf zum Beispiel, oder das Gassiführen des Hundes. Manchmal durfte ich dafür mit ihnen schlafen. Kannst du dir den Unterschied vorstellen zwischen jemandem, der dich läßt, und jemandem, der dich will? Es ist ein Unterschied, glaube mir. Joanna war nicht so, deshalb mochte ich sie.«
Lauren schüttelte den Kopf. »Geliebt. Angebetet. Vergöttert. Sie war makellos bis ins kleinste.«
»Soweit würde ich nicht gehen. Ich meine, ich wußte von Anfang an, daß sie in mir vielleicht nur eine Fahrkarte in ein besseres Leben sah.«
»Sie war mein Ideal, mein Vorbild, das ich nie erreicht habe«, sagte Lauren mit tiefem Bedauern in der Stimme. »Feigheit, das stimmt, und bis jetzt war mir das nicht klar geworden.«
»Lauren«, fragte Corky behutsam, »wovon sprechen wir eigentlich?«
Sie hatte mit einem geistesabwesenden Gesichtsausdruck an ihm vorbeigestarrt. Jetzt richtete sie den Blick wieder auf ihn. »Ich habe dir erklärt, warum ich, wenn du wirklich wärst, mich gemüßigt fühlte, dir zu helfen.«
»Ach so. Nun, ich bin nicht krank. Also vergiß es.«
»Natürlich nicht«, stimmte sie ihm zu. »Du bist tot.« Sie nahm ihr Messer wieder zur Hand und machte sich erneut daran, ihr Steak kleinzuschneiden.
Er säbelte angriffslustig an seinem Steak herum. »Wunderbare Alternativen«, brummte er. »Ich bin deine Halluzinationen, ich bin krank, oder ich bin tot!«
»Du begreifst das Problem, das ich mit dir habe«, sagte sie, während sie weiteraß. »Wenn du wirklich bist, dann ist die Frage, wirklich als was. Als Geist? Dann wiederum ist die Frage, warum du ausgerechnet mich heimsuchst. Ich habe dir nie etwas getan. Ich kannte dich nicht einmal.«
»Ich habe dich nicht heimgesucht!«
»Dann geh doch weg!«
»Vor gar nicht so langer Zeit hast du ganz etwas anderes gesagt!«
Sie fühlte, wie ihr Hitze ins Gesicht stieg, doch sie sagte voller Ernst und Würde: »Es kann sein, daß ich während meiner Therapie viele Persönlichkeitswandlungen durchmache. Das war zu erwarten, und keiner der verschiedenen Zustände darf als endgültig oder als Aufschluß über meine wahre Natur oder meine wahren Gefühle betrachtet werden.« Sie sah sich in dem freundlichen Häuschen um; das Feuer brannte friedlich,
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