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Verrückte Zeit

Verrückte Zeit

Titel: Verrückte Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Wilhelm
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Gespür dafür. Er nickte wieder. Er hatte immer schon ein Gespür dafür gehabt, rein instinktiv, er brauchte bloß in die Luft zu schnuppern; das war eine geheime Gabe, die nur einige wenige Glückliche besaßen. Verdammt, dachte er weiter, er hatte keine besondere Gabe nötig; sie verrieten sich doch, wenn sie nur den Mund aufmachten. Psychische Gesundheit, staatliche Krankenversorgung, Tagesheimstätten, Sexualerziehung, Demonstrationsrecht – mit all diesen Dingen stellten sie sich bloß, das waren Signale, die jeder deutlich registrieren konnte. Es gab andere Signale, die nur geschulte Augen sehen konnten. Wie zum Beispiel, daß diese Steele an jenem Abend in dem Restaurant in aller Öffentlichkeit Scotch trank. Eine Kleinigkeit, aber verräterisch. Daß sie sich von einem Fremden – Morris Pitts – ansprechen ließ, noch verräterischer. Daß sie von zu Hause weggegangen war, ohne zu heiraten, und allein lebte. Er grunzte, weil er es kaum fassen konnte, daß es so viele Anzeichen gab, die noch keiner bemerkt hatte, daß noch keiner eins und eins zusammengezählt hatte. Zum College zu gehen, sogar in einem anderen Staat, und dann ganz ans andere Ende des Landes zu ziehen! Zuzulassen, daß Kommunistencorky ihren nackten Fuß zeichnete! Er kniff die Augen zusammen, als er an die Skizzen dachte, bisher die widerlichsten dieser kleinen Schlange. Auch wenn gar nichts weiter da gewesen wäre als diese Serie von Zeichnungen ihres nackten Fußes, hätte er Bescheid gewußt, sagte er zu sich selbst. Das reichte vollkommen. Das war echte Perversion; das war etwas ganz anderes als Bilder von ordentlichen, gesunden Titten – das konnte man ja verstehen, aber nein, dieser Gartenzwerg mußte Füße zeichnen! Er trank sein Glas mit einem einzigen Schluck aus, stand auf und machte sich fürs Bett fertig. Und sie ließ ihn, dachte er in einem fort. Sie ließ ihn!
     
    Zur gleichen Zeit wanderte Morris Pitts in seiner Wohnung auf und ab, nicht einmal vor sich hin murmelnd, sondern nur über Lauren nachdenkend. Sein Apartment war von Juanita und Juan eingerichtet worden, den besten Innenarchitekten der Stadt. Der Teppichboden war in einem üppigen samtigen Waldgrün gehalten, mit einem sanften Schimmer, wenn die Beleuchtung stimmte. Das Holz war ausschließlich Kirsch- und Rosenholz, alles Metallene Chrom und Silber, mit Kupferverzierungen an den Aschenbechern und dem Kaminbesteck. Die Gemälde stammten von Künstlern aus der Gegend, eins stellte einen in dunstigen Pastelltönen ausgeführten Mount Rainier dar, ein anderes eine karge abstrakte Nackte in Gelb, Orange- und Rottönen. Er fand es nichtssagend, doch andere Leute waren immer sehr beeindruckt, wenn sie die Signatur sahen. Auf einem war ein impressionistisches Seeufer zu sehen, mehr Renoir, als Renoir persönlich zustandegebracht hätte. Morris hatte kaum Augen für die Bilder. Es gab zwei chinesische Vasen in tiefem Blutrot mit einer hübschen Patina; eine enthielt Pampasgras, die andere drei Wedel Binsenrohr. An den Wänden war eine gemaserte Tapete in der Farbe von blassem Weizen; die Couchen, zwei an der Zahl, waren mit einem Stoff in der gleichen Weizenfarbe bezogen, einem groben Baumwollmaterial mit Leinenstruktur. Ein schwarz lackiertes Couchtischchen war so glänzend, so tiefschwarz, daß es den Blick förmlich einsaugte, auf der Suche nach einer Oberfläche, die sich noch im Verborgenen hielt.
    So war die ganze Wohnung, eingerichtet mit dem Größten oder dem Besten oder dem Leuchtendsten oder dem Neusten und auf jeden Fall immer mit dem Teuersten. Er vermutete, daß es eine schöne Wohnung war; er hatte genug dafür bezahlt, daß es eigentlich die schönste Einrichtung im ganzen Land hätte sein müssen.
    Jetzt wanderte er geräuschlos über das üppige Waldgrün seines Teppichbodens und hatte für all diese Schönheit keine Augen, dachte nur an Lauren Steele. Es kam selten vor, daß er hier in seiner Gegend arbeitete, wie es diesmal der Fall war. Im allgemeinen unternahm er kleine Geschäftsreisen – nach Cannes, nach Singapur, nach Brüssel und einmal nach Cleveland, in Gottes Namen. Er tat, was er tun mußte, verband es mit einem kleinen Urlaub und kehrte dann nach Hause zurück, jedesmal nach fehlerloser Erfüllung seines Auftrages, ohne Verzögerung, jedesmal erfolgreich. Bei jedem der kleineren Aufträge war unvermeidlich eine Frau im Spiel; dafür war er zuständig, ein Spezialist unter Spezialisten. Und er hatte noch nie einen Fehlschlag erlitten!

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