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Verrückte Zeit

Verrückte Zeit

Titel: Verrückte Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Wilhelm
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Niemals! Sie waren schon während seiner Studienzeit an ihn herangetreten, und er hatte gesagt, ja, sicher, warum nicht. Wenn er in Ostberlin studiert hätte und die andere Seite wäre an ihn herangetreten, hätte er das gleiche gesagt. Es ging ihm nicht ums Geld. Seine Familie war seit Generationen vermögend. Es ging ihm nicht um irgendeine Ideologie, er hatte keine. Es war der Reiz des Spielens, mit der ganzen Welt als Spielbrett. Ein internationaler Drahtseilakt, internationales Risiko. Einmal im Jahr, zweimal, manchmal sogar dreimal rollten für ihn die Würfel und er machte sich auf Reisen. Danach war ein anderer dran. Er fand, daß das reichte. Süchtige Spieler waren für ihn etwas Langweiliges; er spielte gerade so oft mit dem höchsten Einsatz, daß die Sache immer interessant blieb, Spaß machte, den Reiz für ihn nicht verlor. Zu mehr Einsätzen wäre er nicht bereit, das hatte er von Anfang an gesagt, und es war akzeptiert worden. Manchmal brauchte man hin und wieder Männer, die nicht bekannt waren, nicht identifizierbar.
    Er arbeitete nicht gern auf seinem eigenen Territorium. Er war einer der begehrtesten Junggesellen in Seattle, und das gefiel ihm. Sein gesellschaftliches Leben war sehr rege, und jetzt hatte er schon seit einer Woche allen möglichen Leuten einen Korb gegeben, hatte Einladungen abgelehnt, Verabredungen abgesagt, die fest eingeplant gewesen waren. Und die ganze Zeit über hatte diese Bohnenstange von einer Frau ihn an der Nase herumgeführt. Sein einziger Vorteil, sagte er sich, während er weiter wütend auf und ab schritt, bestand darin, daß er ihr Spiel durchschaute und sie noch nicht erkannt hatte, daß er ebenfalls Spieler war. Wenn er daran dachte, daß sie mit Corcoran und noch einem anderen Kerl auf der Insel gewesen war, einem, mit dem sie geschlafen hatte und den sie auf dem Seeweg weggeschmuggelt hatten, verwandelte sich seine Wut in seinem Innern in heißes Eis, das ihn verbrannte und verbrühte und bei dem ihn gleichzeitig fröstelte. Er hatte Lauren erzählt, daß sein Vater in einer Munitionsfabrik gearbeitet hätte, aber er hatte ihr nicht erzählt, daß seinem Vater die verdammte Fabrik gehörte. Er konnte sich an einen sengendheißen Nachmittag erinnern, an dem er sich die Zeit vertrieb, indem er Streichhölzer ansteckte und sie in eins der Lagerhäuser schleuderte, aus lauter Langeweile, und jedesmal mit sich selbst eine Wette abschloß, daß sich nichts Gefährliches entzünden würde. Damals war er vierzehn gewesen. Er erinnerte sich, wie er sich an jenem Tag gefühlt hatte – lebendiger als je zuvor, aufnahmefähiger, reifer, bereit zu sterben und bereit, andere umzubringen. Dieses Gefühl hatte er später noch öfter gehabt, er genoß es jedesmal. Das war der Grund, warum er diese Arbeit machte, um es hin und wieder hochzukitzeln. Am Anfang hatte er nicht den Eindruck gehabt, als ob dieser Auftrag besonders stimulierend werden würde, doch er hatte sich getäuscht. Dieses Wochenende, schwor er sich. Dieses Wochenende!
     
    Drissac und Sergeant Carroll befanden sich in einer Suite, die der Musselmans haargenau glich, der seinen direkt gegenüber gelegen. Drissac hatte Kopien von allen Berichten, die bis jetzt angefertigt worden waren, einschließlich des einen, aus dem hervorging, daß die Steele die Mitarbeiterkonferenz an diesem Abend eher verlassen hatte, und zwar weinend. Drissac hatte einen Raum, der mittlere Raum war die gemeinsame Kommandozentrale, und der Sergeant bewohnte den letzten der hintereinanderliegenden Räume. Nur Drissac war berechtigt, die Berichte zu lesen. Der einzige Beschluß, den sie bei ihrer Zusammenkunft an diesem Abend getroffen hatten, war der, daß sie sich an eine Hierarchie halten wollten. Musselman hatte die Leitung, naturgemäß, und Drissac war sein Assistent, der Zugang zu allen Unterlagen hatte, die Musselman erhielt. Die anderen würden nur soviel erfahren, wie unbedingt nötig war. Niemand hatte etwas dagegen einzuwenden gehabt. Drissac las bis fast zwei Uhr die Berichte durch, bestellte sich Sandwiches und Kaffee aufs Zimmer und las noch eine Stunde oder mehr weiter und grübelte. Er hörte, wie Carroll im Zimmer jenseits des Büros schnarchte.
    Musselman hatte eine Bemerkung an den Rand gekritzelt: Können wir erreichen, daß er kalte Füße kriegt und sich verrät? Vielleicht, dachte der Captain, und Bilder von Fußabdrücken im Schnee erschienen vor ihm. Mit Tränengas kleinkriegen? Ausräuchern? Bei seiner Freundin

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