Verschärftes Verhör
Geschäft zu kommen. Es gab Menschen, die an die Unverletzlichkeit der Seele glaubten – vor allem jene, die niemals geschändet worden waren. Jamal gehörte nicht dazu und auch Abdullah nicht.
Abdullah wandte sich an Jamal. »Bring uns Tee«, befahl er. Und dann, in weicherem Ton und für die Ohren des anderen Mannes: »Bruder.«
Jamal verneigte sich leicht und trat in den Flur. Körper oder Seele, dachte er, während er die Treppe in die Küche hinunterstieg. Von beidem war nicht viel übrig, doch wenn er blieb, würde er erneut vor die Wahl gestellt. Abdullah hatte gar nicht die Absicht, ihm bei der Flucht aus Algeciras zu helfen.
Auf dem Treppenabsatz blieb er stehen und schaute von der Küchentür zur Haustür. Körper oder Seele, mahnte er sich. Es lag nur an ihm, ob er sie verspielte oder rettete.
Wenn er fliehen wollte, dann jetzt.
15
England
Stuart Kelso blieb vor einer Kebab-Bude in der Albert Road stehen und beobachtete im Schaufenster die hochgewachsene Gestalt hinter sich. Er war sich ziemlich sicher, dass der Mann ihm folgte, wobei das nicht immer ganz leicht zu beurteilen war. Da sich ein Irrtum fatal auswirken konnte, wollte er sich vergewissern, dass es wirklich um ihn ging, bevor er ein Zeichen des Erkennens gab. Vor allem in einem Ort wie Portsmouth, wo jeder Dritte ein Seemann war und Gerüchte rasch das Ohr eines falschen Adressaten erreichten.
Stuart wartete ab und beobachtete, wie der Mann ein Stück weiter in einen Drogeriemarkt ging, ohne sich auch nur einmal umzudrehen. Eine Niete, sagte er sich im Weitergehen, und spürte eine leise Enttäuschung. Der Mann war genau sein Typ gewesen, gut gebaut und athletisch, wie Stuart selbst. Kein Seemann, eher ein Student, von denen es in diesem Stadtteil wimmelte.
Im Vorfeld des Prozesses hatte Stuart öfter nach Südengland fahren müssen und dabei die Stadt kennengelernt. Als er nach einem der ersten Treffen mit seinem Anwalt einen klaren Kopf bekommen wollte, hatte er begonnen, das Studentenviertel Southsea und die Albert Road zu erforschen. Die Gegend mit ihren Kifferläden und Curryrestaurants bot eine willkommene Ablenkung.
Als Stuart am Drogeriemarkt vorbeikam, tauchte der Mann wieder auf und hängte sich an seine Fersen. Ein Adrenalinstoß schoss durch seinen Körper. Es erinnerte ihn ein bisschen an das Gefühl, das er auf Patrouille gehabt hatte, wenn er ahnte, dass etwas Schlimmes bevorstand. Eine Mischung aus Angst und Erregung – und die Erleichterung, nach Stunden oder Tagen banger Erwartung endlich aktiv zu werden.
Stuart blieb stehen und ließ sich überholen. Diesmal drehte sich der Mann rasch um, um zu sehen, ob Stuart sein Signal verstanden hatte. Dann bog er in eine schmale Wohnstraße ab. Die Botschaft war unmissverständlich, und Stuarts Herz schlug schneller, als er dem Mann in ein leicht heruntergekommenes Haus folgte.
»Ich liebe die Jungs von der Navy«, sagte der Mann, als Stuart in den Hausflur trat. In dem engen Raum roch es nach der neuen Lederjacke des Mannes und einem aromatischen Eau de Toilette. »Dieses ganze Versteckspiel. Erinnert ein bisschen an die Romantik von früher, was?«
Stuart sagte nichts. Er schämte sich eher für das Getue, das ihm sein Privatleben abverlangte, und es war ihm peinlich, dass er sich zu solchen Heimlichkeiten herabließ.
»Sollen wir nach oben gehen?« Der Mann deutete auf die Treppe.
Irgendetwas in seiner Art jagte Stuart plötzlich Angst ein. Die Hände des Mannes waren groß und kräftig, er schien mit ihnen zu arbeiten. Also doch kein Student, dachte Stuart, während sich seine Angst in Erregung verwandelte.
Der Fremde führte ihn in ein kleines Zimmer im zweiten Stock, das offensichtlich nur einem einzigen Zweck diente.
Oben auf dem Türrahmen lag der Schlüssel. Drinnen gab es ein schmales Bett und einen Stuhl, in der Ecke ein Waschbecken mit einem gebrauchten Stück Seife.
Spezialkräfte, dachte Stuart, als der Mann an das einzige Fenster trat und die Jalousien herunterließ. Er erkannte die wachsame Haltung, mit der er sich bewegte. Einer seiner eigenen Leute, doch das durften sie einander nicht eingestehen.
Stuart zog die Jacke aus und hängte sie über den Stuhl. »In zwanzig Minuten bin ich mit einem Freund verabredet«, sagte er, um zu betonen, dass dies keine lange Geschichte werden würde.
»Könnte ein bisschen später werden«, erwiderte der Mann, kam näher, drückte sich an Stuart und legte ihm den Mund ans Ohr.
Stuart spürte die raue Hand des
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