Verscharrt: Thriller (German Edition)
ist, was die Roma unter einem Marime verstehen. Das ist ein Ausgestoßener, dem jeglicher Kontakt untersagt ist. Für einen Roma ist das noch schlimmer als für einen Polizisten, und genau so verhält sich unser Mann: wie einer, der nichts zu verlieren hat. «
» Du warst ihm dicht auf den Fersen « , sagt K, » deshalb haben sie ihn abgesägt. «
» Und jetzt drängt er sich wieder rein. «
Ein junger Musiker mit einem Gitarrenkoffer kommt vorbei.
» Du hast noch gar nicht erzählt, wie Axls Auftritt im Lakeside war « , sagt Krekorian.
» Toll. «
» Der Junge hat Talent. «
» Genau das befürchte ich. «
Das Gespräch stimmt O’Hara traurig. Sie fragt sich, ob Axl bei Behind the Music oder doch hinter dem Tresen eines Burger King enden wird. Für Rocker scheint es nicht viel dazwischen zu geben.
» Guck dir das an « , sagt Krekorian. Er zeigt auf ein Taxi, das auf der Ostseite der Third Street hält. Das Licht auf dem Dach wechselt von gelb zu weiß, und nach einer langen Pause geht die hintere Tür zum Verkehr hin auf. Es dauert eine weitere Minute, bis ein schwarzer Porkpie-Hat über der Tür auftaucht und ein riesiger rechteckiger Klotz von einem Mann erscheint. Als er um das Taxi herumgeht, bewegt er sich eher wie eine Welle als wie ein Mensch.
KAPITEL 59
Fudgesicle beugt sich über den Tresen eines Straßenverkaufs, lässt sich ein Stück Pizza geben und walzt weiter Richtung Norden, den Pappteller in der einen, eine Tüte von Duane Reade an der anderen Hand. Er trägt ein weißes T-Shirt mit V-Ausschnitt und eine hellblaue OP -Hose, und O’Hara staunt darüber, wie wenig Aufmerksamkeit ein fresssüchtiger Irrer mit Porkpie-Hat und durchsichtiger Hose um 3:45 Uhr in einer Sommernacht im East Village geschenkt bekommt. In O’Hara löst der Anblick des lange gesuchten Verdächtigen einen solchen Adrenalinschub aus, dass es ihr schwerfällt, klar zu denken. In den Augen der Fußgänger, die ihm auf dem Bürgersteig ausweichen, ist er ein vermutlich unter Jetlag leidender Tourist, der noch mal rausgegangen ist, um sich was zu essen und eine Zahnbürste zu holen, oder aber ein Krankenpfleger auf dem Heimweg nach der Arbeit. Niemand sieht ihn zweimal an. O’Hara vermutet, der seltsame Hipsterhut trägt absurderweise ebenfalls dazu bei, dass es ihm gelingt, in der Menge unterzutauchen.
Auf seinem Weg über die Third Street wirkt Fudgesicle insgesamt kleiner und breiter, als er beschrieben wurde, eher wie eins fünfundsiebzig als eins achtzig, dafür scheint es aber, als hätte er sich seit dem letzten Eintrag in die Datei weitere fünfzig Kilo angefressen. Sein Gesicht ist aufgedunsener als auf dem Bild, seine Augen sind kaum mehr als Schlitze, und da O’Hara das achtunddreißig Sekunden lange Video noch frisch in Erinnerung hat, empfindet sie seinen entspannten Gesichtsausdruck und den Umstand, dass er kaum richtig bekleidet ist, als irgendwie obszön.
» Wir müssen Verstärkung anfordern « , sagt Krekorian, während er nach dem Taser im Handschuhfach greift und an seinem Gürtel befestigt. » Neben dem sieht Goodman aus wie Buscemi. Ich glaube kaum, dass ich dem Handschellen anlegen kann. «
» Wenn wir beide nicht in der Lage sind, das Arschgesicht festzunehmen, dann sollten wir einpacken. Der kann doch kaum laufen. «
» Als er seinen Partner zusammengetreten hat, konnte er sich noch ganz gut bewegen. «
» Mal sehen, wo er hin will. Hier sind sowieso zu viele Leute unterwegs, als dass wir ihn auf der Straße einkassieren könnten. Schon gar nicht, wenn er bewaffnet ist. «
Als Fudgesicle bis auf zehn Meter an sie herangekommen ist, steigen O’Hara und K aus dem Wagen, und als er östlich in den St. Mark’s Place einbiegt, schlängeln sie sich durch den zweispurigen Verkehr auf der Third Avenue und verfolgen ihn zu Fuß von der Nordseite der Straße aus. Von hinten betrachtet, scheint Fudgesicle gar nicht voranzukommen, sondern einfach nur von einer Seite zur anderen zu schwanken und sein Gewicht von einem grün beschuhten Fuß auf den anderen zu verlagern, doch irgendwie schiebt er sich an einem Sonnenbrillenstand und einer Sports-Bar vorbei, in deren Schaufenster sich das Trikot eines Pitchers aus dem Fernsehen spiegelt. Zwei Schritte vor dem Trash & Vaudeville kehrt er ihnen erneut den Rücken zu, und als er sich die Hose hochzieht und das St. Mark’s Hotel durch den schmalen Eingang betritt, erkennt O’Hara, dass er limettengrüne Crocs trägt.
» Jetzt fordern wir aber
Weitere Kostenlose Bücher