Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi
renne los Richtung Redaktion. Das ist der Nachteil daran, dass ich jetzt ein Fixum bekomme: Ich muss mich beim »Magazin« auch regelmäßig sehen lassen. Am späteren Nachmittag in Wien mit dem Auto unterwegs zu sein ist etwas für Menschen mit viel Zeit. Stau überall. Also zur U-Bahn-Station. Der Zug fährt ein, als ich an der obersten Stufe angelangt bin, ich galoppiere nach unten, gerate beinahe aus dem Takt, komme mir schwerfällig vor, langsam, kann doch noch gerade durch die sich schließende Tür in den Waggon springen, bekomme von der rechten Türhälfte einen Schlag gegen die Schulter, aber ich bin drinnen, und was ist schon ein blauer Fleck? Einige Leute starren mich an. Ich keuche und fühle mich noch immer wie von einem anderen Stern hierhergebeamt. Solche nächtlichen Eskapaden sind nichts mehr für dich, Mira – auch wenn es genau genommen nicht sehr viele derartige Eskapaden in meinem Leben gegeben hat. Nichts, was ich bedauere. Ich hetze drei Stationen später die Stufen nach oben, komme in einen Regenschauer, verfluche das miese Sommerwetter, grüße an der Rezeption nur kurz, so als ob ich heute schon öfter vorbeigekommen wäre, will nicht den vorderen Lift nehmen, wer weiß, wen ich da treffe, sondern gehe den Gang zur Tiefgarage entlang, hinten ist ein zweiter Lift. Stimmen. Ich bremse ab, lausche. Kann mir doch eigentlich egal sein, wenn mich jemand sieht.
Zwei Menschen flüstern aufgeregt aufeinander ein. Ich kann sie nicht sehen, sie sind hinter der Tür zur Tiefgarage. Gerda, die eine Stimme gehört Gerda, ich bin mir beinahe sicher. Ist sie nicht mehr in Untersuchungshaft?
Ich schleiche mich näher heran, die schwere Metalltür zur Tiefgarage ist bloß angelehnt.
Ich kann nicht alles verstehen, schnappe nur die Worte auf: »… wegen der Rechnung, aber die halten dicht«, und ein gezischtes »Sag so was nicht«, und von ihm – ist es Peter Königsberger? –: »… dich nicht verdächtige«. Dann höre ich hinter mir Schritte, gehe rasch von der Tür weg, einer aus der Chronikredaktion quatscht mich an. »Sag nicht, du hast einen der wenigen Tiefgaragenplätze ergattert? Welche Art der Protektion braucht man dafür eigentlich? Ich fürchte eine, auf die ich als Mann keine Chance habe.«
»Tja, falsch geboren«, erwidere ich spöttisch, derartige Sexismen regen mich schon lange nicht mehr auf. Ich gehe zum Lift und fahre in unsere Etage. Soll ich Gerda nach diesem eigenartigen Gespräch fragen? Ist sie gekommen oder gegangen? Und was, wenn Gerda doch mehr mit dem Tod ihres Mannes zu tun hat, als ich glauben will?
Sie hat kein Alibi. Sie hat ein Motiv. Sie war immer schon emotional. Sie ist zum Lieblingsfeind ihres Mannes avanciert. Aber warum hat sie ihn dann nicht vor der Scheidung umgebracht? Vielleicht hat sie keine Möglichkeit gefunden. Und als sich vor der Vermögensaufteilung eine Chance ergeben hat … hat sie dafür gesorgt, dass den Kindern wenigstens das Geld bleibt. Warum sitzt sie nicht mehr in U-Haft? Weil es keine Haftgründe gibt und Angelika Beer doch recht tüchtig ist? Haftgründe: Was sind überhaupt U-Haft-Gründe? Wiederholungsgefahr – in diesem Fall auszuschließen. Verdunkelungsgefahr – sie kann kaum noch Spuren verwischen. Fluchtgefahr – was weiß man, aber aufgrund der Kinder wohl eher unwahrscheinlich. Verabredungsgefahr – gilt ja nicht für potenzielle Liebesabenteuer, sondern für kriminelle Treffen. Von welcher Rechnung haben die beiden geredet? War der, mit dem sie so heftig debattiert hat, Peter? Ich muss mir das Wenige, das ich verstanden habe, merken.
Ich eile zu meinem Schreibtisch, unsere Gemeinschaftssekretärin hinter mir her.
»Wo warst du? Der Chefredakteur hat dich gesucht. Und Droch. Und ein Terrorexperte. Und ein Bruno Hörl, muss ein Freund von dir sein, ich hab ihm deine Mobilnummer gegeben.«
Auch das noch. Aber ich habe unseren Sekretärinnen immer wieder gesagt, sie können meine Nummer an alle außer offenkundig Irre und Querulanten weitergeben, schlimmstenfalls kann ich ja wieder einmal die Nummer ändern. Und ich bin nun mal neugierig. Üblicherweise.
»Was wollte der Chefredakteur?«
»Keine Ahnung, er ist schon weg.«
Glück gehabt. »Und Droch?«
»Auch schon fort.«
»Danke, okay, ich rede morgen mit allen.«
»Dann gehe ich jetzt auch«, sagt die Sekretärin und zieht ab.
Was haben die beiden geflüstert? Ich nehme einen Block aus der obersten Schreibtischlade und notiere: »wegen der Rechnung, aber die halten
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