Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi
Mutter schützen willst? Oder weil du etwas verbergen willst?«
»Ihr könnt mich mal«, sagt Philipp, »euer Problem, wenn ihr mir nicht glaubt.«
»Übrigens: Hast du eine Freundin?«, frage ich so verbindlich wie möglich und schaue zum Mädchen im bauchfreien Top, sie steigt gerade aufs Rad.
»Die? Nein, das ist nur eine Schulkollegin. Ich weiß zwar nicht, was Sie das angeht, aber nein, ich hab momentan keine Freundin.«
Bevor er sich davonmachen kann, halte ich ihn am Arm fest. »Dass dein Vater mit der rothaarigen Sprechstundenhilfe ein Verhältnis gehabt hat, ist auch Unsinn. Er hat sie, kurz bevor er … ums Leben gekommen ist, gekündigt.«
Philipp starrt uns mit offenem Mund an. »Aber ich habe sie zusammen gesehen«, stammelt er, »ich weiß, dass das stimmt.«
»Das nächste Mal denkst du dir bessere Märchen aus, Kleiner«, sagt Vesna.
»Wer hat so einen Blödsinn erzählt? Warum hätte er sie rausschmeißen sollen?«, will er wissen.
»Es ist eine Tatsache.«
»Das kapier ich nicht …«
Der Junge kann wirklich ganz gut schauspielern. Was hat er wohl noch alles drauf?
Wir parken dort, wo der Wagen abgestürzt sein muss. Zweite Kehre den aufgelassenen Steinbruch hinauf, Schotterstraße, das Stück ohne Leitschienen. Wir hätten viel früher hierherfahren sollen, egal, ob wir auf neue Ideen kommen können, den Tatort sieht man sich jedenfalls an. Das meint auch Vesna, die dann allerdings lacht: »Bei dir gibt es eine Entschuldigung, verliebte Braut hat eben anderes im Kopf.«
Sie soll aufpassen, dass ich ihr nicht einen kleinen Stoß gebe. – Genau das ist der Punkt: Warum hat ihn der Mörder nicht einfach hinuntergestoßen, statt ihn zuerst mit einem Stein zu erschlagen, dann ins Auto zu verfrachten und einen Unfall zu inszenieren? Wäre doch viel einfacher gewesen. Und schneller gegangen. Hätte sogar eher nach einem Unfall aussehen können: Ein Stein, der sich löst, der ihn unglücklich trifft, und schon stürzt er … Vesna nickt zu meinen Überlegungen. Leider können wir Zuckerbrot nicht fragen, ob man inzwischen den genauen Tathergang kennt, denn dann müssten wir wohl so einiges erzählen.
Vielleicht war das, was so geplant wirkt, gar nicht geplant, sondern eine Handlung im Affekt?
Ich spähe vorsichtig nach unten, mir liegt es nicht so, wenn es einige Meter neben mir steil bergab geht. Und nichts als Steine.
Ein Geräusch über uns, wir schrecken auf, drücken uns an die Felsen. Die Straße führt noch eine weitere Kehre nach oben. Wenn dort oben jemand steht und einen Stein herunterwirft … – Dann hat Dr. Hofer seinen Mörder vielleicht gar nicht gesehen. Er sollte hier auf jemanden warten, aber man hat schon auf ihn gewartet – eine Kehre höher.
Ich höre über uns einen Mann und eine Frau kichern und entspanne mich. »Es ist ein beliebter Treffpunkt für Liebespaare«, flüstere ich Vesna zu.
»Jetzt? Am Tag?«, sie bleibt weiter an den Felsen gepresst und hält mich am Arm fest.
»Nicht alle haben am Abend füreinander Zeit.«
»Man sollte wissen, ob Spurensicherung sagen kann, aus welcher Entfernung der Stein den Kopf getroffen hat«, überlegt Vesna leise. »Es muss Blut gegeben haben.« Langsam löst sie sich vom Felsen und schaut nach oben, ich trete neben sie.
Gemeinsam wandern wir die Kehre entlang nach oben, Ausblick auf den Süden von Wien, milchig verschwommen, gelblich-graues Licht.
Oben ein roter Mazda, die beiden Menschen sind nicht mehr zu sehen. Man sollte sie fragen, ob sie regelmäßig hierherkommen, ob sie Dr. Hofer gar kennen oder etwas beobachtet haben. Aber sie jetzt aus ihrem Auto zu holen …
»Entweder wir reden mit Polizei oder mit Gerda«, meint Vesna, als wir wieder hinuntergehen. »Sonst kommen wir nicht weiter.«
»Mit Gerda«, schlage ich vor.
Vesna nickt.
Wir suchen die Felswände und den Boden rund um die Stelle ohne Leitschienen ab. Vesna tritt ganz nahe an den Abgrund.
»Pass auf«, rufe ich, doch sie sieht bloß neugierig nach unten. Im Gegensatz zu mir ist sie schwindelfrei, aber ein plötzlicher Windstoß oder eben ein Stein genügt, und schon hab ich meine Putzfrau und Freundin verloren. »Komm her zu mir!«, rufe ich, zwischen all dem Geröll klingt es viel zu laut. Sie dreht sich überrascht um, gerät etwas aus dem Gleichgewicht, ich schreie auf, aber sie lacht bloß und geht mir entgegen: »Ist ja noch halber Meter bis zum Hang.«
Unter einem Hang stelle ich mir etwas anderes vor.
»Was ist?«, fragt Vesna, »hast du
Weitere Kostenlose Bücher