Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi
das heißt. Wir sind beide etwas abgelenkt, spekulieren immer wieder über Orte, an denen man auf die Police stoßen könnte, ich bemühe mich, ein Kostüm zu finden, in dem ich nicht allzu lächerlich aussehe, das aber »dem Anlass gerecht wird«, wie es meine Mutter wortgleich mit Oskars Mutter ausgedrückt hat.
Schließlich landen wir nach Stunden doch bei H & M – und da gibt es genau das, was ich gesucht habe: ein naturfarbenes ungefüttertes Leinenkostüm mit einem lang geschnittenen Rock und einer leicht taillierten Jacke. Und Vesna findet ein sensationelles rotes Leinenkleid – ich bin richtig neidisch, aber mir hätte es ohnehin nicht gepasst, ihre Figur habe ich nun einmal nicht, da kann man nichts machen. Bei Campari Soda in einer kleinen Bar schnipple ich aus meinem Kostüm die Etiketten heraus. Muss ja niemand wissen, woher wir das gute Stück haben. Wir kichern und freuen uns über den Coup. Die Schuhe, die ich schließlich dazu kaufe, kosten mehr als doppelt so viel wie das Kostüm, aber insgesamt haben wir sehr günstig eingekauft.
Wir beschließen, gleich jetzt zu Gerda zu fahren und ihr bei der Suche nach der Police zu helfen.
»Man glaubt mir nicht«, meint sie dumpf. »Und ich kann nichts dagegen tun. Ich weiß nicht, ob ich mir glauben würde. Es ist alles … wie inszeniert.«
»Und wenn …«, beginne ich, »und wenn es dein Exmann inszeniert hat? Quasi als Abschiedsgeschenk?«
Gerda schüttelt den Kopf. »Er versteckt die Police, bricht sich das Genick, setzt sich in sein Auto und fährt den Abgrund hinunter, nur um seiner Exfrau zu schaden? Ist leider physisch nicht möglich, sonst hätte ich es ihm glatt zugetraut.«
Philipp hat sich in seinem Zimmer verbarrikadiert und spielt wieder einmal am Computer. »Er hört überhaupt nicht auf mich. Wenn es so weitergeht«, klagt Gerda, »wird er die Klasse wiederholen müssen. Dabei war er ganz ohne Streberei immer einer der Besten.«
»Ist klar, dass ihn das alles mitnimmt«, meine ich.
Gerda wirft mir einen seltsamen Blick zu. »Ja, das ist wohl ganz normal. – Wem sagst du das?«, versucht sie dann ein Lächeln. »Ich hab gestern eine halbe Stunde ohne Film fotografiert. Wenn ich mich nicht bald wieder besser konzentrieren kann … «
Wir suchen systematisch Raum für Raum ab, und es ist erstaunlich, wie wenige Spuren ihr Exmann hinterlassen hat. Seine Kleidung hat Gerda einer Hilfsorganisation gegeben, alles Berufliche ist in der Ordination. Und wenn sie die Police schon lange beseitigt hat? Lieber eine halbe Million weniger, als wegen Mordes überführt zu werden? Aber ich sage natürlich nichts. Man muss nur alles in Betracht ziehen.
In einer Lade in Gerdas Arbeitszimmer entdecken wir alte Fotos. Auf einem strahlt Gerda in die Kamera, sie wirkt kaum älter, als Philipp heute ist, an ihrer Seite ein gut aussehender brünetter junger Mann, beide im Skioverall vor blitzblauem Himmel, zwei, die die Welt erobern wollen.
Gerda nimmt mir das Foto aus der Hand. »Das war bei einem unserer ersten gemeinsamen Ausflüge«, sagt sie nachdenklich, »irgendwann einmal muss ich ihn geliebt haben. Und er mich auch.«
Als wir beim Kaffee sitzen, kommt Philipp aus dem Zimmer, um sich aus dem Kühlschrank ein Red Bull zu holen.
»Das Zeug ist so giftig«, jammert Gerda.
»Und schmeckt ekelhaft«, ergänze ich.
Philipp ignoriert uns alte Weiber einfach, aber in der Türe dreht er sich um und fragt mich: »Haben Sie eigentlich mein Alibi gecheckt für den Abend, wo ihnen jemand das Ding verpasst hat?« Er deutet auf meine Wange.
»Philipp!«, sagt Gerda scharf. »Jetzt reicht es.«
»Sei lieber vorsichtig, Mutter, Valensky und Co. sind hinter allen her.« Damit geht er. Gerda beginnt sich wortreich zu entschuldigen, wir bremsen sie.
»Stimmt ja«, sagt Vesna.
Eine Stunde später liefert sie mich bei Oskar ab. Diese dauernde Betreuung geht mir inzwischen ziemlich auf die Nerven. Wenigstens ins Weinviertel bin ich allein entkommen. Während Oskar in der Küche herumhantiert und uns die »besten Steaks zwischen da und Texas« verspricht, denke ich noch einmal über Philipp nach. Warum möchte er, dass ich sein Alibi überprüfe? Oder wollte er sich nur wieder einmal wichtig machen? Jedenfalls: Der Check kann nicht schaden. Ich krame in meiner Tasche nach dem Zettel mit Namen und Telefonnummer seines Freundes und finde ihn zwischen vielen Dingen, die ich längst wegwerfen könnte. Eine so große Tasche hat Vor- und Nachteile, aber die Vorteile
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