Verschleppt
nicht unbedingt von einer Abrechnung ausgehen. Dafür sind wir vermutlich nicht sorgfältig genug vorgegangen. Und sie wollen den Mord an Robby Faro noch mal aufrollen. Wovon ich nicht sonderlich begeistert bin.«
»Robby Faro?«
»Der Informant, den ich erschossen habe.«
»Meintest du nicht, da wärest du gründlich gewesen?«
»War ich auch. Trotzdem.«
»Gibt’s auch gute Neuigkeiten?«
Joyce hob das Kinn. Ihre Augen glänzten. »Die Frauen waren schon weg, als meine Kollegen da ankamen. Hoffentlich sind sie unterwegs nach Hause, und zwar möglichst mit einem fetten Batzen Geld.«
Joyce ging zu dem hinteren Fenster und schob die eine Hälfte des Vorhangs zurück. Graues Licht strömte durch die dicken Gardinen in den Raum und über Susans Bett.
Susan lag auf der Seite, fest in die Decke gekuschelt, und starrte auf den Fernseher. Falls sie von dem Telefongespräch etwas mitbekommen hatte, ließ sie es sich nicht anmerken.
Oberflächlich betrachtet sah die Sache hoffnungslos aus, dachte Joyce, und doch vermutete sie, dass Susan seit ihrer Befreiung bereits enorme Fortschritte gemacht hatte. Sie ließ es sich bloß nicht anmerken, sondern schottete sich ab und machte den Mund nicht auf, als ob sie Maier bestrafen wollte. Sie wehrte sich dagegen, gepflegt zu werden – man durfte sie nicht anrühren, weder ihren Körper noch das Gesicht –, aber zumindest trank sie den frisch gepressten Fruchtsaft, den Joyce für sie zubereitete, und nahm auch die Bouillon zu sich. Den Rest der Zeit schlief sie.
Heute Morgen jedoch war Joyce von einem unbekannten Geräusch aufgewacht. Von ihrem Bett aus hatte sie dann beobachtet, wie Susan mit vorsichtigen Schritten ins Badezimmer geschlurft war, sich vorgebeugt und Wasser aus dem Hahn getrunken hatte. Wie sie das Licht beim Spiegel angeknipst, einen Waschlappen angefeuchtet und vorsichtig die angetrockneten Blutflecken von Gesicht und Armen abgetupft hatte. Wie sie schließlich das Licht wieder ausgemacht und sich auf die Toilette gesetzt hatte.
Mindestens eine Dreiviertelstunde hatte sie gebraucht. Joyce hatte die ganze Zeit über angespannt gelauscht, um jederzeit eingreifen zu können, wenn Susan zum Beispiel hinfiele. Es waren lediglich ein paar Darmgeräusche aus dem Badezimmer gekommen, ab und zu auch ein unterdrücktes Stöhnen oder Schluchzen. Sanfte, kaum hörbare Laute, die in der Dunkelheit durch Mark und Bein gingen.
Als Susan zum Bett zurückgeschlurft war – zittrig, schwach und sich bei jeder Gelegenheit irgendwo abstützend –, hatte Joyce die Augen geschlossen und getan, als schliefe sie.
Sie war noch nicht dazu gekommen, es Maier zu erzählen. Das wollte sie gleich nachholen, draußen, wenn die Zimmermädchen mit ihrem Putztrieb und ihren sauberen Handtüchern über einen anderen Block herfielen.
Maier stellte ihr einen Becher Kaffee hin und setzte sich auf einen der Esstischstühle. »Kann ich gerade mal deinen Laptop benutzen? Vielleicht hat dieser Russe noch mal gemailt.«
Joyce kam zu ihm herüber und stellte den Laptop, der auf dem Boden gelegen hatte, auf den Tisch. Nachdem sie die Verbindung zum Internet hergestellt hatte, drehte sie das Ding zu Maier um. Er tippte seine Login-Daten ein.
Nach ein paar Minuten schüttelte er den Kopf. »Es scheint bei dieser einen Mail zu bleiben.«
»Ich weiß, wir hatten das schon, aber hast du irgendeine Ahnung, was für einen Grund dieser Wadim dafür haben könnte?«
Maier loggte sich aus und schob Joyce den Laptop wieder zu. »Er scheint irgendwie wütend zu sein«, sagte er mit gespieltem Desinteresse.
»Erklär zumindest mal, warum.«
Demonstrativ langsam trank er einen Schluck von seinem Kaffee. Sah Joyce dann genau ins Gesicht. »Wenn es stimmt, dass er ein Auftragsmörder ist und einen Zwillingsbruder hatte, der in Frankreich umgekommen ist … dann müsste er eigentlich selbst auch tot sein. Dass er es anscheinend nicht ist, kann zweierlei bedeuten, allerdings läuft es auf dasselbe hinaus: Entweder ist er stinkig wegen seinem Bruder und will sich Genugtuung verschaffen, oder er mag keine halben Sachen und will zu Ende bringen, was er angefangen hat.«
»Die beiden Brüder hätten dich ermorden sollen«, folgerte Joyce, »aber stattdessen hast du einen von ihnen um die Ecke gebracht.«
Er sah sie schweigend an.
Sie erschrak über die Intensität dieses Blicks. Die sagte ihr mehr, als er mit Worten je ausdrücken könnte.
Er wandte den Kopf ab und nahm noch einen Schluck Kaffee.
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