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Verschleppt

Verschleppt

Titel: Verschleppt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verhoef & Escober
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»Die Frage ist jetzt: Wie komme ich dahinter, wo dieser Typ steckt? Und wie lange wird er brauchen, um herauszufinden, dass ich hier bin?«
    »Sil?«
    Maier schob abrupt den Becher von sich weg, sprang auf und eilte zu Susans Bett. Ging in die Hocke und sah sie eindringlich an. »Hast du mich gerufen?«
    Sie flüsterte: »Mir fehlt so viel.«
    »Was denn?«
    »Meine eigenen Sachen.«
    Joyce war Maier gefolgt und blieb nun schräg hinter ihm stehen.
    »Glaubst du, du kannst schon wieder nach Hause?«
    Susan schüttelte verärgert den Kopf. »Da geh ich nicht mehr hin. Ich will nur meine eigenen Anziehsachen.«
    »Dann hole ich die schnell.« Er richtete sich auf. »Deinen Bademantel, nehme ich an? Und deinen Jogginganzug? Unterwäsche?«
    »Ja, das wär gut. Und mein Parfüm und die Nachtcreme, die stehen unten in dem kleinen Badezimmerschrank.« Leise fügte sie hinzu: »Ich will wieder nach mir selbst riechen.«
     

68
     
    Die Wohnung war kalt, und nachdem sie in den vergangenen kalten und nassen Wochen nicht geheizt worden war, roch sie leicht muffig und feucht. Susans Fotosachen standen im Flur. Die Metallkoffer mit den zusätzlichen Gehäusen, Linsen und der Fototasche waren übereinandergestapelt, die Stative und Schirme lehnten daneben an der Wand. Auf einen Fremden hätten die Sachen wahrscheinlich ganz gewöhnlich, ja sogar ordentlich gewirkt, aber Maier sah sofort, dass etwas nicht stimmte. Susan ließ ihre Sachen normalerweise nie im Flur herumliegen und schon gar nicht so.
    Hier musste Wadim sie überfallen haben, in ihrer eigenen Wohnung oder direkt vor der Haustür, als sie heimgekommen war. Er selbst oder ein Handlanger hatte ihre Sachen hier abgestellt. Hier hatte ihr Alptraum angefangen. Das war die logischste Erklärung, deshalb wollte Susan wohl auch nicht zurück nach Hause.
    Er konnte nur hoffen, dass es ihr bald wieder besser ging und sie ihm dann mehr darüber erzählen konnte – und wollte –, was mit ihr passiert war. Vielleicht konnte er daraus erschließen, wo er den Drahtzieher dieses Alptraums zu suchen hatte. Denn solange dieser Russe noch frei herumlief, war der Fall noch nicht erledigt.
    Darüber war er sich völlig im Klaren. Er würde nie mehr ruhig durchatmen, sich keine Sekunde der Unaufmerksamkeit erlauben können.
    Es lag ungefähr ein Jahr zurück, dass er mit den beiden russischen Brüdern in Berührung gekommen war, er konnte sich gut an sie erinnern. Ultrakurzes, aschblondes oder graues Haar. Äußerlich unauffällig, aber sehnig und muskulös, beeindruckend wendig und schnell, ambitioniert, routiniert, hervorragend aufeinander eingespielt.
    Dass er noch lebte, war eher Glück als Verstand.
    Er machte die Haustür hinter sich zu, schob die Kette vor und ging ins Wohnzimmer. Die Flügeltüren zur Dachterrasse waren zum Teil beschlagen. Als Erstes kontrollierte er das Schloss. Das schien unangerührt zu sein, genau wie das der Wohnungstür. Er ließ den Blick über die Möbel wandern. So schnell konnte das also gehen, dachte er. Diese Wohnung in der Innenstadt hatte er als sein Zuhause betrachtet, er hatte gern hier gewohnt, und es war immer schön wohlig und warm gewesen. Jetzt waren diese vier Wände nur noch eine nichtssagende Ansammlung von Holz, Glas und Steinen, die Atmosphäre war ihm geradezu unangenehm. Sie hatte fast schon etwas Feindseliges an sich.
    Vielleicht war der Eindruck deshalb besonders stark, weil in diesem Teil des Häuserblocks beinahe niemand mehr lebte. Die Wohnung nebenan stand auch leer. Dabei fiel ihm wieder ein, dass er auch dort noch nach dem Rechten sehen wollte, bevor er zu Susan und Joyce zurückkehrte.
    Unwillkürlich glitt seine Hand unter sein T-Shirt und ertastete die beruhigend harte Stahl-Titan-Kontur der AMT Backup. Die .22er saß fest hinten im Hosenbund. In der linken Tasche trug er zudem ein kleines, aber extrem scharfes Schmetterlingsmesser – ein Geschenk von Joyce.
    Er fragte sich, wo Jeanny, Susans Mutter, wohl derzeit war, vermutlich noch in den USA, und Maier lehnte es resolut ab, eine andere Möglichkeit – die allerfinsterste, die ihm in den Sinn kam – länger in Betracht zu ziehen: dass womöglich nicht nur Susan, sondern auch Jeanny entführt worden war.
    Er war sich über so viele Dinge noch nicht im Klaren. Der Spielstand war derzeit eindeutig eins zu eins, und noch schien eher der Russe die Zügel in der Hand zu halten.
    Am vernünftigsten war es wohl, noch heute Nachmittag in ein anderes Hotel umzuziehen.

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