Verschleppt
Mann zwischen fünfzig und sechzig. Graue Haare, Jeans mit Bügelfalte, blaues Hemd. Als Blickfang fungierte ein Schlips in Zuckerstangenrosa.
Mit ausgestreckter Hand ging der Mann auf Maier zu, aber sein Gesichtsausdruck war alles andere als offenherzig. »Frau Wittenberg sagte, Sie seien auf der Suche nach einem unserer Vertragspartner.«
»So ungefähr, ja«, sagte Maier ruhig und drückte ihm die Hand. »Unter anderem.«
»Ich fürchte, da können wir Ihnen nicht helfen.«
»Pardon?«
»Wie Frau Wittenberg Ihnen zweifellos schon gesagt hat, dürfen wir Kundendaten nicht an Dritte weitergeben.«
Maier hob die Brauen. »Es geht um das Grab meiner Mutter. Andere Angehörige habe ich nicht. Und sie meines Wissens genauso wenig. Also …«
Hesselbach hörte ihm kaum zu. »Sie müssen sich an die Behörden wenden. Tut mir leid.« Seine Augen glitzerten kalt. Es tat ihm überhaupt nicht leid.
Aber vielleicht wurde er ja etwas zutraulicher, überlegte Maier, wenn er ihm ein Würstchen vor die Nase hielt. »Bei allem Respekt vor Ihrem derzeitigen Vertragspartner und Ihrer Arbeit: Ich habe das Grab soeben zum ersten Mal besucht und festgestellt, dass es ziemlich schlicht wirkt. Ich würde gern in den laufenden Vertrag eintreten und ein paar Zusatzleistungen in Anspruch nehmen. Da bin ich hier doch an der richtigen Adresse, oder?«
»Wenn es um einen neuen Vertrag ginge, wären Sie das. Aber davon kann noch keine Rede sein. Ich muss …«
»Jemand hat über fünfundzwanzig Jahre für das Grab meiner Mutter Sorge getragen«, fuhr Maier fort. »Das Grabrecht und die Grabpflege regelmäßig bezahlt. Bevor ich den Vertrag übernehme, würde ich mich gern bedanken und vielleicht das eine oder andere besprechen. Das ist doch nicht so ungewöhnlich, oder? Aber dafür muss ich natürlich Kontakt mit dem Betroffenen aufnehmen.« Absichtlich ließ Maier eine kurze Pause entstehen. »Es wäre doch ziemlich umständlich, wenn ich ihn nun über irgendwelche Umwege aufspüren müsste, während Sie die Daten hier in Ihrer Kundendatei haben.«
»Sparen Sie sich die Mühe. Gehen Sie zum Kreisverwaltungsreferat. Die können Ihnen weiterhelfen. Mehr kann ich derzeit nicht für Sie tun.«
»Sie meinen, mehr wollen Sie nicht tun.«
Hesselbach reagierte mit einem verärgerten Schulterzucken. »Verstehen Sie es, wie Sie möchten.«
Ein kräftiger Kinnhaken, dachte Maier, und dieses Ekelpaket kann vorläufig seinen eigenen Namen nicht mehr aussprechen –und anderen Leuten nicht mehr so patzig kommen. Allmählich fragte er sich, ob dieser Mann vielleicht erst vor Kurzem hier angefangen hatte, nach einer jahrelangen Laufbahn bei irgendeiner Behörde. Zumindest erweckte er stark diesen Eindruck. Der Beamte in Reinkultur. So ein Typ, der sich an der Hausordnung aufgeilte.
Maier ballte die Fäuste in den Jackentaschen und zählte stumm bis zehn. In gemessenem Tonfall sagte er: »Ich bin nur vorübergehend in München. Ich habe keine Zeit für dieses Getue. Verstanden?« Er sah Hesselbach mit festem Blick ins Gesicht, um keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass eine Grenze erreicht war und dass die Sache aus dem Ruder laufen würde, wenn er seine Haltung nicht änderte.
Hesselbach drückte den Rücken durch. »Auch wenn ich bereit wäre, eine Ausnahme zu machen – heute geht es einfach nicht.«
»Jetzt hören Sie mal zu, wenn …«
»Sie lassen mich nicht ausreden. Sie haben einen schlechten Tag erwischt, unsere Computeranlage streikt.«
»Und es gibt keinen Ausdruck?«
Hinter Hesselbach erschien wieder die Blondine. Anscheinend hatte sie die ganze Zeit hinter der Holzwand gestanden und gelauscht. Nachdrücklich schüttelte sie den Kopf. »Wir warten auf jemanden, der das alles wieder in Gang bringt«, sagte sie leise.
Maiers Blick wanderte zwischen den beiden hin und her. Kurz zweifelte er, dann holte er tief Luft und sagte: »Okay. Und wann …«
»Am Montag«, sagte Hesselbach erleichtert. »Montag kommt jemand. Wenn Sie am Nachmittag noch mal vorbeischauen könnten, dann sehe ich, was ich für Sie tun kann.«
10
Es war schon fast dunkel, als Susan den Vitara wieder auf dem Anwohnerparkplatz abstellte. Sie nahm ihre Tasche, hängte sie sich über die Schulter und ging, wegen des Regens leicht gebückt, zur Rückseite des Autos, um die Stative und Fototaschen herauszuhieven.
Den gesamten Rückweg über hatte sie im Stau gestanden: eine fünfzig Kilometer lange Pendlerhölle. Fast drei Stunden hatte es sie
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