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Verschleppt

Verschleppt

Titel: Verschleppt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verhoef & Escober
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den achtzehn Jahren, die er erst bei seiner Mutter und später bei seiner Oma gelebt hatte, war ihm nicht ein einziges Anzeichen dafür untergekommen, dass es außer diesen beiden Frauen noch weitere Familienmitglieder gegeben hätte. Er hatte keine Tanten gehabt, keine Onkel, keine Cousins oder Cousinen. Nachdem seine Großmutter gestorben war, war er alleine übrig geblieben. Das hatte er auch knallhart genau so empfunden. Verdammt einsam.
    Vielleicht war er deshalb schon mit achtzehn Jahren bei Alice hängen geblieben. Und vielleicht hatte er deshalb eine Affäre mit Susan angefangen, obwohl die Beziehung zu Alice noch nicht beendet war. Aus Angst vor dem Alleinsein. Er hatte sich oft genug allein gefühlt. Aber er war es bis jetzt noch nie gewesen. Das erlebte er nun zum ersten Mal.
    Notgedrungen.
    S. H. Flint.
    Es lag natürlich nah, einen Vater zu vermuten. Das spukte ihm schon von Anfang an durch den Kopf. Einen Vater . Er wünschte es sich so sehr, dass er die Möglichkeit lieber erst gar nicht ernsthaft in Betracht zog. Es konnte nur auf eine große Enttäuschung hinauslaufen. Denn wenn es seinem Vater tatsächlich gelungen war, das Grab seiner Mutter in München zu finden, dann wäre es nur noch ein kleiner Schritt gewesen, auch den eigenen Sohn aufzuspüren. Wenn es also tatsächlich sein Vater war, der auf diesem Landgut in der Provence lebte, dann hatte er an seinem Sohn anscheinend kein Interesse.
    Maier hatte es jetzt plötzlich noch weniger eilig, in Frankreich anzukommen.
    Spontan riss er das Lenkrad herum, um die Ausfahrt nach Oberaudorf zu nehmen. Das letzte deutsche Dorf vor der österreichischen Grenze.
    Am Ende der Ausfahrt bog er links zum Dorf ab. Es wimmelte dort nur so von Reklametafeln für Hotels und Restaurants. Auf einer schwindelerregend hohen Bergflanke warteten im dunklen Grün der Nadelbäume senkrechte hellgrüne Schneisen für Skilifte auf die Wintersaison. Und wohin er auch schaute, entdeckte er große freistehende Häuser mit Balkonen, die von Holzschnitzereien und verschwenderisch mit roten Geranien gefüllten Blumenkübeln verziert waren. Alles, was einem in Reiseführern über Tirol weisgemacht wurde, schien tatsächlich zu stimmen.
    Er fuhr in das Dorf hinein, parkte seinen Carrera vor dem ersten Etablissement, das ihm einladend erschien, und stieg aus.
    Heute würde er nirgends mehr hinfahren.
     

14
     
    Drei Männer. Der eine schaute lediglich zu, mit verschränkten Armen lehnte er neben der Tür an der Wand. Ein breitschultriger Mann zwischen dreißig und vierzig mit dickem schwarzem Haar und einem dünnen Bart. Er starrte sie an, als wäre sie ein krepierendes Insekt. Das unterkühlte Interesse eines Menschen, dessen Einfühlungsvermögen nicht besonders stark entwickelt war.
    Ihr Entführer hatte ihr den Sack vom Kopf gezogen und stand nun über sie gebeugt, eine einfache Digitalkamera in den Händen.
    Sie wandte ihr Gesicht von ihm ab und starrte glasig auf das Linoleum. Das altmodische Muster aus sechseckigen roten Pseudofliesen mit grauen Fugen glänzte im harten Neonlicht. Sie versuchte, sich weiter darauf zu konzentrieren: auf den Glanz, das Licht. Die Männer auszublenden. So zu tun, als wären sie nicht da.
    So zu tun, als wäre sie selbst nicht da.
    Es war sinnlos. Das Adrenalin schoss in Strömen durch ihren Körper, sie atmete flach, durch den Mund.
    »Look here.« Eine leise, fast schon freundliche Aufforderung, doch zugleich drückte ihr der Mann ungeduldig die Seite seines Fußes in den ungeschützten Bauch.
    Vor Schreck zuckte sie kurz hoch, das harte Plastik schnitt in die Handgelenke, und sie verzog vor Schmerz das Gesicht. Tränen traten ihr in die Augen.
    Wieder stocherte er mit dem Fuß in ihrem Bauch, diesmal mit mehr Druck. Sie hob den Kopf, schaute den Mann an, versuchte, möglichst gleichgültig zu wirken, unverletzbar, als würde ihr das alles nichts ausmachen. Aber sie wusste, dass die Kamera ein realistischeres Bild zeigen würde: das Bild einer Frau in Angst, festgebunden wie ein Tier, hungrig, durstig und todgeweiht, wenn keine Hilfe käme.
    »So, ja.« Jetzt sprach er wieder Niederländisch oder Deutsch. Er machte ein Foto nach dem anderen, so schnell hintereinander, wie es mit dem eingebauten Blitz eben ging.
    Der dritte Mann hatte sich abseits gehalten, schräg hinter ihrem Entführer. Genau wie der Typ bei der Tür war er ein Schrank von einem Mann, verbrachte vermutlich eine Menge Zeit im Fitnesscenter. Er hatte eine hohe Stirn und

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