Verschleppt
kleine, stechende Augen. Seine ganze Aufmerksamkeit galt seinem Mobiltelefon, das er mit halb ausgestrecktem Arm vor sich hielt. Es war nicht ganz klar, ob er eine SMS verschickte oder Fotos von ihr machte.
Der Entführer ging in die Hocke und schaute sie forschend an. Er hatte graugrüne Augen mit kurzen, flachsfarbenen Wimpern. Fahle Haut mit Spuren von Sommersprossen und kleinen, unauffälligen Narben im markanten Gesicht. »My name is Wadim.«
Sie wagte kaum, ihm in die Augen zu sehen. Wadim. Das hörte sich polnisch oder russisch an.
»Durst?«
Sie nickte.
Er gab dem dunkelhaarigen Kerl, der bei der Tür stand, ein Zeichen. Der stieß sich von der Wand ab, ging hinaus und machte die Tür hinter sich zu. Sein Platz wurde von dem Dritten eingenommen, der sich eine Zigarette ansteckte.
Der Entführer richtete sich auf, ließ die kleine Kamera in die Seitentasche seiner Hose gleiten und schaute auf sie herab. »So, Susan Staal …«
Sie rührte sich nicht. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
»Dein Freund, Sil Maier. Wo steckt der?«
Sil. Das verdammte Arschloch.
»Ich … «, sie schluckte, ihre Kehle fühlte sich trocken an, ihre Stimme war heiser, »… habe keinen Freund. No friend. «
»Du bist mit Sil Maier zusammen.«
»Nicht mehr.«
Er blickte spöttisch auf sie herab, schwieg.
»Wirklich nicht. Wir haben uns getrennt«, sagte sie schnell. »Er ist weg. Er hat nicht gesagt …«, sie fing zu husten an, »… wohin.«
Ein paar Sekunden schaute Wadim schweigend auf sie herunter. Dann winkte er seinem Kumpel und ließ sich eine Zigarette geben. Statt den Rauch zu inhalieren, blies er ihn sofort wieder durch die Nase aus, wie ein schnaubender Stier. »Ich habe alle Zeit der Welt, Susan. Und du?«
Sie schloss die Augen und versuchte zu schlucken, bekam aber den zähen Schleim in ihrer Kehle nicht hinunter. Sie hatte schon Durst gehabt, bevor sie zu Hause angekommen und überfallen worden war. Wann war das gewesen? Gestern vielleicht, vielleicht aber auch schon vorgestern. Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren.
Wadim ging wieder in die Hocke. Ihr fiel auf, wie geschmeidig er sich bewegte. Er schaute sie nun nicht mehr an, sondern spielte bloß mit seiner Zigarette. Hinter ihm stand der Hüne mit der hohen Stirn. Er rauchte und war noch immer mit seinem Mobiltelefon beschäftigt. Sein blondes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, wie sie jetzt bemerkte.
Wadim schwieg. Er starrte auf eine Stelle an der Wand und schien nachzudenken. Die Sekunden tickten vorbei, ohne dass jemand etwas sagte.
Auf dem Flur waren Schritte zu hören. Die Tür flog auf und wurde sogleich wieder geschlossen. Der Dunkelhaarige war zurück.
Er warf Wadim eine Halbliterflasche Wasser zu. Der fing sie auf und stellte sie hinter sich auf den Boden.
Wie gelähmt starrte Susan die Flasche an. Diese Flasche, so wurde ihr klar, war für sie bestimmt. Sie war das Pfand in den Verhandlungen, die er mit ihr führen würde. Informationen gegen Wasser. Aber sie wusste nichts.
Wadim deutete eine Kopfbewegung an. Die beiden Männer verließen den Raum.
Sie hatten die Tür noch nicht hinter sich geschlossen, da zog er bereits eine Pistole aus dem Hosenbund, umklammerte ihren Kiefer und zwängte ihr Daumen und Zeigefinger so brutal zwischen die Zähne, dass sie gar nicht anders konnte, als den Mund zu öffnen. Prompt rammte er ihr den metallenen Lauf tief in den Rachen. »Wo ist er?«
Susan würgte. Wieder zog sich ihr Magen zusammen, diesmal noch heftiger. Die Galle kam ihr hoch. Sie bebte am ganzen Leib.
»Wo?«, wiederholte er völlig unbeteiligt.
Sie hörte ihn nicht mehr. Bekam einen Hustenanfall. Tränen schossen ihr in die Augen, Galle und Schleim liefen ihr aus den Mundwinkeln. Am kalten Stahl der Waffe zitterten ihre Lippen unkontrolliert.
Er krallte die Finger in ihre Haare und brachte sein Gesicht so nahe an ihres, dass seine Nase ihre Wange berührte. »Ich habe das schon öfter getan«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Männer, Frauen, Kinder … geht mir am Arsch vorbei. Willst du sterben? Jetzt?«
Sie versuchte den Kopf zu schütteln, doch er hielt sie noch immer an den Haaren fest, drückte sie auf den Boden.
»Du hast noch eine einzige Chance.« Er zog den Lauf aus ihrem Mund, riss ihren Kopf in den Nacken und presste ihr die Mündung auf den Wangenknochen, knapp unterhalb des rechten Auges. »Ich zähle bis drei. Eins …«
»Ich weiß es nicht!«
»Zwei.«
Wadim drückte ihr die Pistole so
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