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Verschleppt

Verschleppt

Titel: Verschleppt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verhoef & Escober
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sind, dass du zu viel Platz beanspruchst. Dass du dir deinen Unterhalt auch mit Arbeit verdienen könntest, genau wie die anderen.«
    Mit einem Knall fiel die Tür hinter ihm zu.
     

25
     
    Über Oberaudorf riss krachend und knatternd der Himmel auf. Regen peitschte gegen die Fenster des Hotelzimmers, so heftig, als würden Kiesel dagegengeschleudert. Bei jedem Donnerschlag wurde das Hotel bis in seine Grundfesten erschüttert, und jedes Mal gingen kurz die Lichter aus, um kurz darauf wieder hell aufzuleuchten, bis zur nächsten Störung.
    Maier zog den Vorhang zur Seite und schaute nach draußen. Bis auf den fast schon waagerecht über den Hotelinnenhof treibenden Regen und die spitzen Nadelbäume, deren Gipfel von den Naturgewalten hin und her geworfen wurden, war kaum etwas zu sehen. Es war nach Mitternacht, und die Straße war menschenleer. Der Sturm erreichte anscheinend gerade seinen Höhepunkt.
    Von hinten glitten zwei Arme unter sein T-Shirt, Finger wanderten über seinen strammen Bauch und Brustkorb. Ein warmer Körper rieb sich verführerisch an seinem Rücken.
    »Findest du Gewitter auch so faszinierend?«, fragte sie flüsternd, nah an seinem Schulterblatt.
    Unwillkürlich ertasteten seine Hände unter dem T-Shirt die ihren, ergriffen sie und drückten sie beruhigend.
    Sie hieß Martha und verhielt sich gerade fürchterlich falsch. Vierzehn Jahre verheiratet, zwei Kinder, ein Hund, eine erfolgreiche Karriere und ein hübsches, freistehendes Haus nahe am Genfer See. Sie hatte mehr, als die meisten Menschen je erreichen würden, und doch genügte es ihr nicht.
    Das machte sie öfter, hatte sie ihm erzählt. Für ein paar Tage, eine Woche, entwischen. Zu Hause erzählte sie, sie führe zu einem Seminar oder einem Symposium, das sie nicht verpassen dürfe. In Wirklichkeit fuhr sie nach Österreich, Deutschland, Frankreich oder Italien, um im Ausland anonym so zu tun, als hätte ihr Leben noch nicht seine feste Form angenommen, als gäbe es für sie nirgends einen Ort, den sie ihr Zuhause nennen durfte. Um nicht zu sagen: nennen musste .
    Wenn sie diese Eskapaden nicht unternahm, hatte sie gesagt, wurde sie todunglücklich. Sie riss keine Männer bei der Arbeit auf, und sie knüpfte auch keine zwielichtigen Kontakte übers Internet. Das fand sie zu gefährlich. Lieber nistete sie sich in einem Dreisternehotel mit gut besuchter Bar und Restaurant ein und wartete. Sie brauchte nie lange zu warten.
    Das glaubte er gern.
    »Kommst du noch mal ins Bett?« Ihr Atem strich über seinen Hals, und ihre Hände verschwanden unter dem Gummibund seiner Boxershorts. »Dann lassen wir die Vorhänge offen.«
    Er gab ein unverständliches Brummen von sich.
    »Komm«, drängte sie ihn. Ergriff seine Hand und zog ihn mit unter die Decke.
    Draußen fuhr der Blitz durchs Tal. Wie unter einem Stroboskop leuchtete das Hotelzimmer kurz auf und versank dann schlagartig wieder in der Dunkelheit.
    Maier beantwortete ihren Kuss und streichelte mit den Fingerspitzen ihren Bauch. Ihre weiße Haut erbebte unter der Berührung.
    Es war kaum zu fassen, dass er bereits vier Tage in ihrer Gesellschaft verbracht hatte. Dies war die letzte Nacht. Morgen früh würde sie in ihren Mercedes steigen und gut fünfhundert Kilometer zurückfahren, dorthin, von wo sie gekommen war. Dann würde sie wieder ihren Platz in ihrer Familie einnehmen. Aber bis es so weit war, spielte er in ihrem eskapistischen Traum den Komplizen.
    Im Grunde war Martha, die Schweizerin, gar nicht so anders als er selbst, überlegte er. Die Ruhelosigkeit, die sie überkam, wenn sie eine Weile ihre Rolle als Mutter, Haus- und Geschäftsfrau gespielt hatte, begriff er wie kein anderer, und er verstand auch durchaus, dass sie diese kleinen Ausflüge brauchte, um sich im Gleichgewicht zu halten, um das Gefühl zu haben, dass es in ihrem ansonsten straff durchorganisierten und bis zum Todestag vorausgeplanten Leben noch so etwas wie ein Recht auf Selbstbestimmung gab.
    Es stand ihm nicht zu, darüber zu urteilen. Dieselbe Art von Unsicherheit hatte ihn an den Rand des Abgrunds und schließlich zum Sprung getrieben. Genau diese innere Unruhe und nichts anderes hatte ihn dazu gebracht, hohe Risiken einzugehen, fremde Leben zu zerstören und damit sich selbst und andere, die ihm viel bedeuteten, in Lebensgefahr zu bringen.
    Um die Unruhe im eigenen Kopf vorübergehend zu betäuben, hatte Martha einen effektiveren und weit weniger schädlichen Weg gefunden als er. Er hoffte nur, dass

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