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Verschleppt

Verschleppt

Titel: Verschleppt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verhoef & Escober
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siebziger Jahre stellte demgegenüber keine große Verbesserung dar. Zumindest nicht für einen deutschsprechenden, zornigen kleinen Jungen, der in sich gekehrt war, niemandem vertraute und als einziges Kind bei einer alten Frau aufwuchs, der Witwe eines niederländischen Eisenbahnmaschinisten. Einer Frau mit mangelnden Niederländischkenntnissen, die von ihrer Umgebung geschnitten wurde, weil sie Deutsche war – in den Niederlanden jener Zeit nicht gerade die Eintrittskarte zu einem blühenden gesellschaftlichen Leben.
    Es dauerte Jahre, bis er den Dreh raushatte. Er prügelte sich, um einen Platz im Viertel einzufordern, bediente sich während des Heranwachsens geschickt seiner scharfen Intelligenz und seiner gesellschaftlichen Antennen – und übertraf schließlich seine eigenen und aller anderen Erwartungen, als seine Softwarefirma sich als Volltreffer erwies und er sich mit achtundzwanzig Jahren Millionär nennen konnte.
    Mission accomplished . Er war ganz oben angekommen, mit seiner hübschen Frau, seinen Maßanzügen, seinem teuren Fuhrpark und seinem in klaren Linien designten Bungalow. In seinem Gartenteich tummelten sich aus Japan eingeflogene Koikarpfen, von denen jeder einzelne dreitausend Euro wert war. Die Welt lag ihm zu Füßen.
    Bis die Unruhe an ihm zu nagen anfing und er all diese mit viel Mühe erarbeiteten Umstände beiseitefegte, um sich mutwillig in lebensgefährliche Situationen zu begeben. Von einem Tag auf den anderen ließ er seine Freunde fallen. Betrog seine Frau. Fing an, Waffen zu horten. Nahm anderen Menschen das Leben. Und mit der Zeit machte ihm das immer weniger aus, weil es doch alles Arschlöcher waren, auf die irgendjemand früher oder später sowieso eine Kugel gemünzt hätte.
    Er hatte sich selbst eingeredet, dass die pure Langeweile ihn dazu getrieben hatte. Dass er schlichtweg abgestumpft war und immer größere Herausforderungen brauchte, um sich das Gefühl zu verschaffen, wirklich am Leben zu sein.
    Aber ständig war da diese spürbare, durchdringende innere Leere gewesen, die ihn im Stillen an das erinnerte, was er nicht hatte – und nie bekommen würde.
    Es hätte nicht einmal ein echter Vater sein müssen. Ein Ersatzvater hätte auch gereicht. Jemand, den er sich zum Vorbild hätte nehmen, in dem er sich hätte spiegeln können. Der ihm Ratschläge gegeben und ihn zum Angeln mitgenommen hätte. Solche Sachen eben. Ein echter Vater wäre auch gut gewesen. Einer, der ihm zumindest einen Namen und eine Adresse hinterlassen hätte, sodass er ihm ab und zu hätte schreiben können.
    Es war alles ganz anders gekommen.
    Nämlich derart, dass er jetzt, mit fünfunddreißig Jahren, in einem bizarren Altersheim einen Mann anstarrte, der ihm bestürzend ähnlich sah und ihn auf sonderbare Weise in Verlegenheit brachte.
    Einen Mann, der nun seinen Tränen freien Lauf ließ.
    »Ich wollte mich nicht aufdrängen«, hörte er Flint sagen. »Marias Mutter war unglaublich wütend auf mich. Also wartete ich, bis ich wieder nach Bayern kam, und regelte dann vor Ort die Verlängerung des Grabrechts. Es war das Einzige, was ich noch für Maria tun konnte. Aber auch für dich. Als du auf meine Briefe nicht reagiertest, dachte ich, du kommst mich vielleicht später aufsuchen, wenn du selbst so weit bist. Wenn du eines Tages den Kontakt zu mir wolltest, dann solltest du mich über das Grab finden können. Das war meine Hoffnung. Ich habe immer auf diesen Tag gewartet.«
    Maier stand auf. »Ich geh mal kurz nach draußen.«
     

39
     
    »Das Auto dort ist seins«, ertönte der mechanische Klang. »Maiers.« Der Deutsche zeigte auf einen dunkelblauen Porsche, der unter einem Baum geparkt war. Sein Finger zitterte. Mit den Fingern der anderen Hand drückte er an seine von einem weißen Kragen bedeckte Kehle.
    »Ich weiß.« Scheu blickte Joyce zu den tiefer gelegenen Gebäudeteilen hinunter. »Ist er schon lange hier?«
    »Knappe Stunde.«
    »Und er ist bei Flint drinnen?«
    »Ja.« Er runzelte die Stirn und ließ eine kurze Pause entstehen. »Es steht nicht gut um ihn. Schlechter als letzten Monat. Er ist sehr müde und schläft viel. Aber dies wird ihm guttun.«
    Joyce nickte unmerklich. »Hat er gesagt, wo er sich einquartiert hat?«
    »Wir haben ihn zu Brigitte geschickt, nach Venelles.«
    »Und er ist hingefahren?«
    Der Mann nickte. »Er hat die ebenerdige gîte zur Straße hin. Hast du denn für heute Abend schon einen Schlafplatz?«
    Sie schüttelte geistesabwesend den Kopf. Sie

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