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Verschleppt

Verschleppt

Titel: Verschleppt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verhoef & Escober
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schaute nach draußen. »Vietnam fand ich damals gar keine so schlechte Alternative, naiv und unerfahren, wie ich war. Man bekam ziemliche Horrorstorys von dort unten zu hören. Je blutiger und schrecklicher die wurden, desto begeisterter war ich. Ich wollte mir das gern mal mit eigenen Augen anschauen. Aber na ja, es ist dann anders gekommen.«
    »Wann war das?«
    »Dass ich entlassen wurde? Im Sommer ’68. Sie waren damals schon vollauf mit dem Bau des Olympiastadions beschäftigt, für die Spiele von ’72, direkt neben der Kaserne. Aber ’72 war ich schon nicht mehr in München. Da war ich nicht mal mehr in Deutschland.«
    Maier begann unruhig auf seiner Wange zu kauen. Im Dezember 1968 war er zur Welt gekommen. Im Sommer desselben Jahres war sein Vater entlassen worden. Da musste seine Mutter bereits schwanger gewesen sein.
    Flint schien zu ahnen, was er dachte. »Ich habe deine Mutter in der Kaserne kennengelernt«, sagte er leise, den Blick noch immer auf die Hügel gerichtet. »Sie arbeitete bei uns in der Küche, wie viele andere Mädchen aus der Gegend auch. Sie war mir schon früher aufgefallen. Und da war ich nicht der Einzige. Kennst du die West Side Story , diesen Film? Für dich ist das ein alter Schinken, nehme ich an. Dieses Stück, das der junge Typ irgendwann singt, ich glaube, er hieß Tony, kennst du das? ›Maria‹? «
    Maier nickte.
    »Diese Melodie haben die Jungs immer gepfiffen, wenn deine Mutter vorbeiging. Dann wurde sie rot, darum taten wir es ja. Sie hatte so ein schönes Lächeln. Wie auch immer, eines Tages sind wir mit ein paar Leuten in München ausgegangen. Sie und zwei Freundinnen waren auch dabei. So kam das.«
    »So kam was?«
    »Wir haben ein bisschen herumgeknutscht. Und uns verliebt.« Flints Stimme wurde brüchig. »Gleich am ersten Abend, bamm! Ganz heftig verliebt. Es ging nicht wieder vorbei. Ich war wie krank. Wenn ich sie einen Tag lang nicht sehen konnte, bekam ich keinen Bissen mehr herunter. Und sie genauso wenig. So was hatte ich noch nie erlebt.« Er trank noch einen kleinen Schluck. Es sah krampfhaft aus, als würde es ihn anstrengen, er zitterte vor Anspannung. Maier wurde klar, dass nicht die Handlung an sich ihm schwerfiel, sondern dass eher das Ausgraben der Erinnerungen schmerzhaft war.
    »Maria wurde schwanger. Das war nicht geplant, damit wurde alles plötzlich ganz ernst. Ich wollte nicht zurück nach Hause, da hatte ich nichts zu suchen, und Vietnam kam für jemanden, der im Begriff war, Vater zu werden, nicht in Frage. Also blieb ich in München. Zog bei Maria und ihrer Freundin Gerda ein. Die beiden hatten zusammen eine kleine Wohnung im Hasenbergl, im zweiten Stock, zwischen zwei Zigeunerfamilien. Wohnung ist übrigens fast schon zu viel gesagt. Loch passt besser. Aber ich war fest überzeugt, dass es bloß eine vorübergehende Lösung wäre. Ich hatte fest vor, für sie zu sorgen. Für sie und das Baby. Ob nun geplant oder nicht, wir liebten uns.«
    »Und doch habt ihr nie geheiratet. Soweit ich weiß, jedenfalls.«
    »Dafür hatten wir kein Geld. Wenn man sich zwischen goldenen Ringen oder Kinderkleidung entscheiden muss, fällt die Wahl nicht besonders schwer. Heiraten wollten wir später.«
    Schweigend musterte Maier seinen Vater. Schließlich sagte er: »Und euch eine neue Wohnung zu suchen, dazu seid ihr wohl auch nicht gekommen, was?«
    Flint rieb mit dem Daumen über seinen Becher. »Wir hatten den guten Willen, aber wir waren noch sehr jung, und es war alles nicht einfach. Ich sprach zwar ein paar Brocken Deutsch, aber bei Weitem nicht flüssig. Und ich war versessen auf Technik, wie auch heute noch, aber ich hatte ja nur die Ausbildung bei der Armee. Und woanders war der Bedarf an Wartungsmonteuren für Hueys nicht besonders groß, verstehst du? Es gab sowieso keine besonders große Nachfrage nach amerikanischen Arbeitskräften in Deutschland … Umschulen, denkst du jetzt vielleicht. Aber dafür war schlichtweg weder Geld noch Zeit da.« Er grinste hilflos. »Naja, so war das. Ich hab irgendwelche Scheißjobs angenommen, die sonst keiner wollte. Gerade bastelst du noch an einem Huey herum, mit dem kurz drauf jemand vertrauensvoll losfliegt, und dann darfst du plötzlich nicht mal mehr ein ganz normales, ziviles Auto umparken. Sondern es bloß noch waschen.« Er zog die Nase hoch und rieb sich mit der Hand darüber. »Im Oktober ’68 haben sie bei der Kaserne die Schotten dichtgemacht. Maria war damals hochschwanger, die hätte sich

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