Verschleppt
übel geworden, und sie war bei der nächsten Haltestelle ausgestiegen. Vermutlich war ihr eigener Körpergeruch derzeit nicht weit davon entfernt.
Sie schaute zu dem Mädchen auf, das einen Waschlappen in den Eimer tauchte, ihn auswrang und mit sanfter Hand begann, ihr die Oberschenkel und die Scham zu säubern. Olga war so sauber und so schön geschminkt, sie sah so rein aus. Einen größeren Kontrast konnte man sich kaum vorstellen. »Danke«, flüsterte Susan.
Olga schüttelte den Kopf. »Du kannst ja nichts dafür.«
Kurz sagten sie beide kein Wort. Olga drückte vorsichtig gegen Susans Hüften, worauf diese sich mit Mühe auf die Seite drehte. Dann fuhr sie mit der Waschprozedur fort, wobei sie die Haut immer gleich abtupfte.
»Ich hole gleich mal eine Decke zum Drunterlegen«, hörte Susan sie murmeln. »Diese Matratze ist schon ziemlich dreckig.«
Susan wandte ihr den Kopf zu. »Ich kann euch hören.«
Olga verzog den Mund zu einem Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte. Die blieben ausdruckslos. Sie spülte den Waschlappen aus.
»Ihr werdet geschlagen.«
»Nur wenn wir nicht gehorchen.«
Auf dem Flur war wieder ein Rumoren zu hören. Susan sah, wie Olga scheu zur Tür schaute. Sie rief etwas auf Russisch und bekam Antwort von einer Männerstimme. Verärgert schloss sie kurz die Augen und stieß zwischen zusammengebissenen Zähnen etwas hervor, was wie ein Fluch klang, aber so leise, dass der Mann auf dem Flur es nicht hören konnte.
Susan fiel auf, dass Olgas Bewegungen jetzt weniger koordiniert waren.
»Du hast Angst vor ihm«, bemerkte sie.
»Vor Ilja? Er schlägt und tritt uns. Mehr Phantasie hat er nicht. Es tut weh, aber das ist alles, und an die Art von Schmerz gewöhnt man sich.« Sie hob den Blick. »Bist du Maxim mal begegnet?«
Susan schüttelte den Kopf. Sie hatte keine Ahnung, wer Maxim war.
»Kurzes blondes Haar, blaue Augen, gedrungen, stämmig … naja, ist auch egal.«
»Was ist denn mit Maxim?«
»Er ist der Boss. Er macht es anders als die anderen, er schlägt einen nicht.«
»Sondern?«
Olga schwieg einen Moment und schüttelte dann den Kopf. »Lass gut sein. Anscheinend brauchst du ja nicht zu arbeiten, also ist der Kerl nicht dein Problem. Du bist ja ohnehin bald weg.«
»Nein, ich möchte es gern wissen. Was macht er denn?«
»Sorry, ich weiß gar nicht, warum ich überhaupt davon angefangen habe.«
»Was tut er?«, fragte Susan eindringlich. »Ist er gefährlich? Irre?«
Olga hielt inne. Ihre Hände hingen wie gelähmt über Susans Bauch, und sie starrte stumpf vor sich hin. »Er nimmt die Mädchen von hinten«, flüsterte sie. »Dort, weißt du. Bis es blutet. Erst dann hört er auf.«
Susan wagte nichts mehr zu sagen. Es war offensichtlich, dass Olga aus persönlicher Erfahrung sprach. Und es war ebenso offensichtlich, dass das, was sie selbst hier hatte ertragen müssen, noch nichts war im Vergleich zu den Misshandlungen, die diesen Mädchen zugemutet wurden.
Olga wandte sich wieder ihrer Aufgabe zu. Sie strich mit dem Waschlappen über Susans Schulter und wusch ihr die Arme, wobei sie mit den Handgelenken so vorsichtig wie möglich verfuhr. Hob erst ihren einen Arm an, dann den anderen und nahm für die Achseln extra viel Wasser. Tupfte schließlich ihren Oberkörper trocken. »Drehst du dich um? Dann mache ich noch den Rücken, und wir sind fertig.«
Susan drehte sich auf die linke Seite und starrte den Radiator an. Olga war so fürsorglich und lieb, sie strahlte so viel Güte aus. Es fiel Susan schwer zu glauben, dass der Körper dieser Frau Tag für Tag jedem zur Verfügung gestellt wurde, der dafür zu bezahlen bereit war. Dass sie misshandelt wurde, sich Tausende Kilometer fern ihrer Heimat befand, in ständiger Angst lebte und mehr oder weniger das Eigentum einer Bande von Kerlen ohne jede Moral, ohne jedes Mitgefühl war.
Mittlerweile war das Wasser abgekühlt, und Susan bekam am ganzen Körper Gänsehaut. Sie fing an zu zittern.
»Noch kurz durchhalten«, hörte sie Olga sagen. »Gleich bekommst du Kleider.«
»Wo sind wir hier eigentlich? Wo befindet sich dieses Haus?«
»Weiß ich nicht.«
»Das weißt du nicht? Weißt du denn, in welchem Land?«
»Ja, das schon, in den Niederlanden. Eine Stadt im Süden der Niederlande. Aber wo genau, weiß ich nicht.«
»Und wenn ich ein paar Ortsnamen aufzähle? Vielleicht kommen dir ja welche bekannt vor?« Ohne die Reaktion abzuwarten, fing Susan sofort mit unsicherer Stimme an aufzuzählen:
Weitere Kostenlose Bücher