Verschleppt ins Tal Diabolo
Davor hatte
er sich am Rande der Legalität ( Gesetzmäßigkeit ) verdingt, nämlich als
Schuldeneintreiber für eine fragwürdige Agentur. Und nun — ja, nun zog er das
ganz große Ding durch für Erich Schulten.
Es war später Vormittag. Hitze
über der Stadt wie im Hochsommer. Schulten saß im Arbeitszimmer seines Hauses,
bog seine dicken Finger, dass die Gelenke knackten und starrte hinaus in den
Garten. Über dem kleinen Teich schwebten Insekten. Der Blick endete an der
Hecke, die dringend gestutzt werden musste.
Schulten war Ende fünfzig,
dicklich und fast pleite. Er hatte eine kleine Baufirma, mit der er sich in
Richtung Abgrund bewegte. Keine Aufträge, das Geschäftskonto leer, offene
Rechnungen stapelweise. Sicherlich — auf dem Privatkonto ruhten zwei Millionen
Euro. Aber das war Marions Geld. Ihr Erbe. Und sie würde es verteidigen mit
allen Mitteln. Schulten hatte nichts zu erwarten. Alle Zuneigung zwischen den
beiden, falls es die je gegeben hatte, hatte sich in Nichts aufgelöst, war
nicht mal mehr vorhanden als schale Erinnerung. Sie lebten nebeneinander her
wie in einer schlechten Gewohnheit. Zoff gab’s zwar nicht, aber
Gleichgültigkeit bestimmte den Alltag, und jeder ging seiner Wege.
Schultens Plan war einfach. Das
hübsche Ferienhaus im Tal Diabolo — südwestlich vom Garda-See, wo also die Welt
am schönsten ist — gehörte Marion. Auch ein Teil ihres Erbes. Und sie fuhr
dorthin, wann immer sie Lust verspürte.
Genau dort — das hatte Schulten
eingefädelt — würde der maskierte Unbekannte sie rauben, entführen, kidnappen.
Und dann als Lösegeld zwei Millionen fordern — mit der ausdrücklichen Weisung,
die Polizei aus dem Spiel zu lassen. Andernfalls... na, mindestens mit
abgeschnittenen Ohren würde der Kidnapper drohen, bevor die Finger an die Reihe
kamen. Schulten grinste.
Bernd Riedmeyer würde Marion
also in dem einsamen Ferienhaus überfallen — und ihr sofort die Augen
verbinden. Damit sie den Vermummten nicht an seinen Bewegungen erkannte. Reden
würde er kein Wort. Und auch ansonsten würde Bernd keinen Fehler begehen — da
war sich Schulten ganz sicher.
Der Rest war leicht. Schulten
wollte das Geld beiseite bringen. Angeblich übergab er das einem Komplizen des
Kidnappers hier in der Stadt. Und dann — Tage später, wenn Marion endlich
freigelassen wurde — konnte er auch die Polizei verständigen.
Das Ende vom Lied war absehbar:
Firma pleite, die Ehe würde zerbrechen. Marion würde dieses Haus hier behalten
und leben von den Mieteinnahmen aus drei Wohnungen, die ihr gehörten. Erich
Schulten, der gescheiterte Unternehmer, verschwand dann wie vorgesehen von der
Bildfläche. Vielleicht würde er sich auf Mallorca niederlassen oder in Portugal
— und sparsam umgehen mit seiner heimlichen Beute.
Aber 50 000, dachte er — und
fühlte Bedauern wie einen körperlichen Schmerz, kriegt Bernd. Na ja, muss sein.
Er macht schließlich die Dreckarbeit.
Schulten knackte mit den
Fingergelenken. Wieder sah er zur Uhr. Aber es war noch nicht viel später. In
drei Stunden, hoffentlich, würde Bernd anrufen und berichten, wie’s gelaufen
war.
Vielleicht schöpft sie
Verdacht, überlegte Schulten. Hält sie’s für möglich, dass ich dahinter stecke?
Nein. Traut sie mir nicht zu. So was — wird sie glauben — ist ‘ne Nummer zu
groß für mich. Hat mir ja oft genug vorgeworfen, dass ich zu wenig riskiere. Na
gut, Schätzchen, umso besser!
Er zuckte zusammen. Das Telefon
schrillte. Es stand neben seinem rechten Ellbogen. Die Glocke war auf größte
Lautstärke gestellt.
Er nahm ab. „Schulten.“
„Erich!“ Die seidige Stimme
klang aufgebracht — eine Tonlage, die er hasste. „Heute geht alles schief. Du,
ich habe ‘ne Panne. Immerhin bin ich schon in Ricetta. Ausgerechnet, so kurz
vor dem Ziel. Plötzlich geht der Motor aus und springt nicht mehr an.“
„O verdammt! Das... das... so
ein Pech.“
„Entsinnst du dich noch an die
Werkstatt?“
„Welche Werkstatt?“ Er begriff
nicht gleich.
„Na, die hier in Ricetta, wo
wir voriges Jahr waren. Als der Scheibenwischer nicht ging.“
„Äh ..er hatte Mühe, nicht zu
stottern, „Mansetti... Enrico Mansetti.“
„Ja, natürlich. Himmel, mein
Namensgedächtnis. Eines Tages werde ich deinen Vornamen vergessen, Robert.
Verzeihung, Erich.“
Er lachte. Es klang hohl.
Miststück!, dachte er. Dir werden die Witze bald vergehen.
„Bei Mansetti“, sagte Marion
und ihre Stimme war wieder wie Seide, „lasse
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