Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)
ihr zu entscheiden.
Sie hatte
verloren.
Alan Scott
war nie nachtragend gewesen. Obwohl sie seine Gefühle mehr als einmal mit Füßen
getreten hatte, das wusste sie. Sie hatten sich wieder getroffen, in Südafrika,
im Sommer der Fußball-WM. Die Erlebnisse im Zusammenhang mit einem geplanten Attentat
auf das Großereignis hatten sie enger zusammengeschweißt denn je, und doch war Alan
nicht mit ihr nach Deutschland zurückgekehrt. Der Tod eines entfernten Verwandten
hatte ihn nach Namibia gezogen, und dort hatte er jetzt die Farm des Verstorbenen
übernommen.
Ihre Kontakte
waren seither auf Telefon und SMS beschränkt, und Linda hatte den geografischen
und zeitlichen Abstand zum Anlass genommen, sich rar zu machen. Sie wollte ihm nicht
das Gefühl geben, auf ihn zu warten, er sollte sich seinen afrikanischen Traum erfüllen,
ohne den Druck einer festen Bindung in Deutschland. Und so hatten sie sich im Laufe
der letzten Monate immer seltener angerufen, ihre Antworten auf seine SMS waren
kurz gewesen, die Inhalte ihrer Telefongespräche sachlich und emotionslos. Zu Anfang
hatte er das moniert, doch je länger er jetzt auf seiner Farm lebte, desto seltener
wurden auch seine Kurznachrichten und Anrufe.
Und doch,
diese Liebe war nicht auszulöschen. Nicht durch den geografischen Abstand und nicht
durch die Zeit. Als er ihr vor einigen Wochen vorschlug, ihn doch auf Ojumamuya zu besuchen, hatte sie spontan ja gesagt. Tage später hatte er zögernd gefragt,
ob sie sich denn ein Leben mit ihm in Namibia vorstellen könne, und sie hatte ausweichend
geantwortet. Sie wusste, dass es für Sarah in Windhoek deutsche Schulen gab und
kannte auch einen Kollegen, der mehrere Jahre bei einem deutschsprachigen Radiosender
in Namibia gearbeitet hatte.
Je länger
sie darüber nachdachte, desto klarer wurde ihr, dass sie eigentlich Alans Frage
mit einem klaren ›ja‹ beantworten musste. Doch getan hatte sie es bis heute noch
nicht. Daran dachte sie jetzt, während der Anblick der Hegauvulkane, die grau und
düster im Gegenlicht lagen, sie an Afrika erinnerte.
Nur noch
wenige Kilometer bis Singen, wo in einer halben Stunde die Pressekonferenz begann.
Singen am Hohentwiel. Ihre Gedanken wichen noch einmal ab, und der alte Kommissar
aus der Hegaustadt kam ihr in den Sinn. Sie dachte zurück an den grässlichen Tag
im Krater von Ngoro-Ngoro, an dem ihr der alte Mann das Leben gerettet hatte. Jetzt
ruhte er selbst am Rand der Kaldera dieses erloschenen Vulkans im Herzen Afrikas,
wie es sein letzter Wunsch gewesen war. Auf dem Stadtfriedhof in Singen erinnerte
nur eine Inschrift auf dem Grabstein seiner Frau an Willy Schänzle, Kriminalhauptkommissar
i. R.
Linda Roloff
setzte ihre Fahrt fort. Ausfahrt Singen, am Osthang des Hohentwiel mit seiner mächtigen
Ruine und den Weinbergen im Süden vorbei zur Stadthalle. In einem der kleinen Säle
war die Pressekonferenz angesetzt worden. Noch einmal wanderten ihre Gedanken zurück.
Die letzte
Begegnung mit Jens Bosch. Der Hauptkommissar würde die PK leiten, hatte sie erfahren.
Sie hatte ihn ganz schön reingeritten, damals, durch ihre Flucht nach Südafrika.
Er hatte sie von der Untersuchungshaft verschont, im guten Glauben, ihr vertrauen
zu können. Doch Linda hatte ihn enttäuscht, hatte sein Vertrauen missbraucht und
seiner Karriere dadurch enormen Schaden zugefügt.
Sie hatten
sich nicht wieder gesehen seit der letzten Begegnung im Stuttgarter Polizeipräsidium,
ein knappes Jahr war das jetzt her. Später hatte sie nur gehört, dass man ihm ein
Disziplinarverfahren angehängt und ihn von der Landeshauptstadt nach Singen versetzt
hatte.
Ihr Herz
klopfte bei dem Gedanken, ihm gleich zu begegnen.
8
Es war sein Land, soweit das Auge
reichte. Fast 12 000 Hektar bestes Weideland, hatte Mary Rust ihm gesagt. Doch Rinder
grasten schon lange nicht mehr auf den weiten Grassavannen von Ojumamuya südlich von Etosha. Johann Rust hatte die Farm heruntergewirtschaftet, bis ihm der
Alkohol im wahrsten Sinn des Wortes das Genick gebrochen hatte.
Obwohl er
schon eine halbe Flasche Gin geleert hatte, fühlte er sich noch in der Lage, auf
die sieben Meter hohe Plattform des Wasserrads zu klettern, um eine Reparatur vorzunehmen.
Der Sturz von dort oben war tödlich gewesen.
Mary und
Johann hatten keine Kinder, nur einen Neffen, Sohn des verstorbenen Bruders von
Mary Rust. So kam Alan Scott unverhofft in den Besitz einer echten Südwesterfarm,
nachdem er sich bereit erklärt hatte, den herunter
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