Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)
gekommenen Betrieb weiterzuführen
und ihm seine Tante die Farm mit allen Ländereien überschrieben hatte. Einzige Bedingung
der alten Farmersfrau: lebenslanges Wohnrecht in einem der Nebengebäude.
Alan Scott
hatte sich schon bei seinem ersten Besuch in die Farm verliebt. Im Garten mit seiner
gemütlichen Sitzecke, dem ungeheizten Swimmingpool und den alten Bäumen hatte ihn
seine Tante mit Kaffee und Kuchen empfangen, während um sie herum Hühner scharrten
und Mary Rusts Liebling, ein prächtiger Pfau, lauthals miaute.
Zum Sonnenuntergang
wanderte Alan hinunter zum Damm und genoss die Stille und Einsamkeit der namibischen
Wildnis. Vor ihm lag die spiegelglatte Wasserfläche des aufgestauten Sees, in dem
munter die Fische sprangen, während sich am Ufer die weißen Silberreiher in den
kahlen Bäumen zur Nachtruhe niederlassen. An jenem Abend hatte er Linda angerufen
und ihr zum ersten Mal von Ojumamuya vorgeschwärmt.
Das über
110 Jahre alte Farmhaus, in dem sie wohnen würden, war aus rotem Quarzitstein erbaut,
mit Wellblech, Glas und Dachbalken aus Deutschland, hatte ihm seine Tante erzählt.
Im verspielt angelegten Garten mit alten Zedern und Eiben, Papyrus und Palmen, lagen
ein paar Backsteinbungalows für Gäste, der gefühlte 14 Grad kalte Swimmingpool und
eine halb zerfallene Laube mit Grillplatz.
Alans Onkel
hatte die Farm in 30 Kamps eingeteilt, wie die Farmer in Südwest die Parzellen für
ihre Rinder nannten, über 500 Stück Vieh hatten das Land zu seinen besten Zeiten
beweidet. Die Kühe teilten sich das Gelände mit Kudu, Warzenschwein, Strauss und
anderem Wild, das von Johann Rust gehegt und auch bejagt worden war. Geschossen
wurde auf Ojumamuya allerdings nur für den Eigenbedarf und die einheimischen
Arbeiter, die mit ihren Familien in einer Art eigenem Dorf auf dem Farmgelände,
mit Hütten, Friedhof und Kapelle, lebten und eigenes Vieh und Esel besaßen.
Doch das
waren die goldenen Zeiten von Ojumamuya gewesen, hatte ihm Mary Rust erzählt.
Zu trocken und zu mager war der Boden für eine ergiebige Beweidung, zu groß die
Verluste durch Seuchen, Leoparden und entlaufene Tiere. Johann Rust hatte auf Jagdbetrieb
umgesattelt, die Rinder verkauft und die Leoparden zum Abschuss freigegeben. Doch
die wenigen Katzen waren von gut zahlenden Großwildjägern aus Europa schnell dezimiert
worden, Johann Rust hatte mit dem Geld in Nashörner investiert und Lizenzen auf
Oryxantilope, Kudu, Blessbock, Elen und Springbock erworben. Die beiden Rhinos waren
schon nach drei Wochen von Wilderern abgeschlachtet worden. An jenem Abend, als
der Farmer die Tiere mit blutendem Schädel in der Nähe des Damms fand, begann er
zu trinken, der Anfang vom Ende, wie Mary Rust sagte.
Alan Scott
hatte die bedrückende Einsamkeit gespürt, als er im ehemaligen Rinderstall die verstaubten
Köpfe präparierter Kudus von der Wand starren und Gerätschaften in den Schuppen
vor sich hinrosten sah. An der ›Wasserstelle, wie der verstorbene Besitzer seine
geräumige Hausbar nannte, erinnerten die Trophäen am Kamin und die Felle von Löwe
und Zebra auf dem Boden noch an die guten Zeiten.
Von den
Arbeitern war nur eine Handvoll geblieben, und allein war es für Mary Rust nicht
möglich, die Jagdfarm zu halten. Zu groß waren allein die Probleme mit der Wilderei.
Noch am Abend, bevor Alan angekommen war, waren drei Oryx auf dem Farmgelände gewildert
worden, und Mary Rust hatte einen der verbliebenen Arbeiter mit der Polizei auf
Patrouille geschickt. Ohne Erfolg, wie sie Alan gestanden hatte.
Später saß
er mit der alten Frau, die er zuletzt als 13jähriger gesehen hatte, auf der Terrasse,
und sie erzählte ihm die Geschichte der Farm, von der sie innerlich schon Abschied
genommen hatte. Von den vier jungen Geparden, die sie mit der Flasche aufgezogen
hatte, und von denen zwei noch auf einer Gepardenfarm lebten. Die giftige Zebraschlange,
die die Katzen neben dem Pool entdeckten und die Johann auf der Terrasse erschossen
hatte. Oder von der Speikobra in der Bar, die man erst für einer zischende Sektflasche
gehalten hat und die sich, in einer Gitarre versteckt, durch das Klingen der Saiten
verraten hat. Oder die Schwarze Mamba, die das zahme Oryxkalb Paul getötet hatte.
Ihr Neffe
Alan war ihr wie ein Rettungsengel erschienen. Ihm traute sie zu, die Farm zu führen
und nahm ihn wie einen Sohn bei sich auf.
Zweimal
war Alan in der nahe gelegenen Stadt Otjiwarongo unterwegs gewesen, um neue Arbeiter
anzuwerben. Sie fanden
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