Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)
trägt einen abgenützten braunen Mantel, ein kariertes Wollhemd und eine Cordhose
und fährt eine rote Vespa mit abgelaufenem Konstanzer Kennzeichen.
Bitte formulieren
Sie das als Suche nach einem wichtigen Zeugen. Wir glauben, dass Jakob Eberle, der
für die Ermordete ab und zu Besorgungen machte und ihr im Garten zur Hand ging,
uns wichtige Hinweise geben kann, die zur Ergreifung des Täters führen, und bitten
ihn daher dringend, sich mit uns in Verbindung zu setzen. Das gilt auch als Aufruf
an die Bevölkerung. Da wir davon ausgehen müssen, dass Jakob Eberle weder Zeitung
liest noch Radio hört, sind wir auf Hinweise zu seinem möglichen Aufenthaltsort
angewiesen. Vielen Dank.«
Linda blieb
auf ihrem Stuhl sitzen, bis sich der Saal fast geleert hatte. Einige Kollegen waren
noch nach vorne gegangen, um den Pressesprecher und den Kommissar um persönliche
Statements zu bitten. Als auch sie sich entfernt hatten, stand Linda langsam auf
und sah stumm zu dem Rednerpult, an dem Jens Bosch seine Unterlagen in eine Tasche
packte.
Jetzt blickte
er auf, und sie versuchte in seinen Augen seine Stimmung auszumachen. Zorn? Feindschaft?
Neutralität? Friede? Sie konnte es nicht erkennen. Ihre Wut war abgeklungen, denn
ihr war klar geworden, dass sich diese Wut eigentlich gegen sie selbst richten musste.
Sie war die Täterin und er das Opfer. Nicht umgekehrt.
»Zeit für
einen Kaffee?«, fragte er jetzt, und seine Stimme klang förmlich. Sie nickte stumm.
»Kennst
du das Polizeirevier in der Julius-Bührer-Straße? Direkt an den Bahngleisen? In
einer halben Stunde dort? Dann können wir kurz in die Stadt.« Linda nickte.
Er war zum
›du‹ zurückgekehrt. Bei der letzten Begegnung, damals im Polizeipräsidium in Stuttgart,
hatten sie sich gesiezt, erinnerte sie sich. Sie nahm es als ein gutes Omen und
ging erleichtert hinaus.
Kommissar
Jens Bosch. Ihr erstes Zusammentreffen kam ihr in den Sinn. Es war auch auf einer
Pressekonferenz gewesen, drüben in Friedrichshafen. Ein mysteriöser Mordfall mit
einer Leiche auf einem Baum. Vom ›Leopardenmörder‹ hatte die Presse geschrieben.
Jens Bosch war damals stellvertretender Leiter der Soko ›Kastanie‹ gewesen. Ein
attraktiver Mittvierziger, sportlich, ziemlich gestylt und – natürlich – verheiratet.
Sie hatten sich auf Anhieb gut verstanden. Aber mehr als einen etwas zu langen Händedruck
oder eine flüchtige Berührung hatte es nicht gegeben, wobei Jens – da hatte er offen
gespielt – einem heißen Flirt nicht abgeneigt war.
Nach der
Lösung des Falls war er befördert worden. An seinem Ermittlungserfolg war sie damals
nicht ganz unschuldig gewesen. Doch seine Versetzung nach Stuttgart war nur von
kurzer Dauer, es wurde nichts aus der Stelle beim Landeskriminalamt. Auch das hatte
er ihr zu verdanken. Nun kreuzten sich ihre Wege zum dritten Mal. Linda beschloss,
diesmal nicht für sein Schicksal verantwortlich zu sein.
10
Als sie mit ihm in dem Singener
Café saß und das sympathische Lächeln sah, klopfte ihr Herz. Der Ring an seiner
rechten Hand war verschwunden.
»Ich wusste,
dass wir uns irgendwann noch einmal begegnen würden«, begann Jens Bosch, nachdem
er für sie einen Kaffee und für sich ein Bitter Lemmon bestellt hatte. »Schade,
dass du zu feige warst, dich bei mir zu melden, nachdem du mir diesen bösen Streich
gespielt hattest.«
»Stimmt«,
sagte Linda zögernd. »Ich hatte wirklich nicht den Mut, mich bei dir zu entschuldigen.
Aber ich ahnte damals auch nicht, welche Konsequenz meine Flucht nach Südafrika
für dich haben würde.«
»Hättest
du denn sonst anders gehandelt?«, fragte er.
»Ehrlich
gesagt, ich glaube nicht. Es war die einzige Chance, meine Unschuld zu beweisen,
nachdem mich deine nette Kollegin unbedingt dem Haftrichter vorführen wollte. Bist
du mir noch sehr böse?«
»Nein, nicht
wirklich. Ich ahnte, als ich dich gehen ließ, dass du mich belogen hattest. Aber
ich hatte das einkalkuliert.«
»Wie? Heißt
das, du hast mich von der Haft verschont, obwohl du wusstest, dass ich mich absetzen
würde?«
Er nickte.
»Mir war nur nicht klar, dass die Konsequenzen für mich so drastisch sein würden.«
»Sonst hättest
du es sicher nicht gemacht.«
»Weiß nicht.
Mein Traum vom LKA ist zwar geplatzt, aber dafür musstest du nicht ins Gefängnis.
Und die Kriminalpolizeiaußenstelle Singen ist ja auch ganz nett!«
Er schmunzelte.
»Oh Mann,
ich hatte richtig Angst, dir heute zu begegnen. Hätte ja auch wirklich Prügel
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