Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)
Unterkunft in den Hütten, die sein Onkel wie ein kleines
Dorf für seine Hirten gebaut hatte. Alan hatte genügend Geld auf der hohen Kante,
um ein Jahr ohne Einnahmen zu überbrücken. Außerdem hoffte er auf die Unterstützung
seiner deutschen Freundin Linda, die, falls er sich nicht falsche Hoffnungen machte,
einer gemeinsamen Zukunft in Namibia nicht abgeneigt schien. Jedenfalls hatte sie
ihn darin bestärkt, das Angebot seiner Tante anzunehmen.
9
Die Pressekonferenz begann unspektakulär,
denn die Kriminalpolizei hielt sich zunächst äußerst bedeckt mit der Bekanntgabe
von Erkenntnissen. Die Journalisten erhielten Informationen über die Identität der
ermordeten Frau und einige vage Angaben über Tathergang und Tatort. Linda hörte
aufmerksam zu, ihr digitales Aufnahmegerät lief. Als der Pressesprecher den Ort
auf der Höri nannte, in dem die Tote gewohnt hatte, fiel Linda sofort ihre ehemalige
Kollegin Käthe Besserer ein, die aus dem Hegau stammte und im Ruhestand auf die
Höri zurückgezogen war. Sie hatte ihren Wohnort und die Straße in ihrem Adressbuch
notiert. Gaienholzen kam ihr sofort bekannt vor. Ob Käthe die Tote kannte?
Der Pressesprecher
beschrieb die möglichen Tatwaffen, ein Brecheisen und eine Weinflasche. Näheres
zu den Todesumständen der alten Frau könne erst bekannt gegeben werden, wenn der
abschließende Bericht der Rechtsmedizin in Freiburg vorliege. Es werde von der Kriminalpolizei
Konstanz eine Sonderkommission eingerichtet, deren Leiter der Erste Kriminalhauptkommissar
Jens Bosch von der Kriminalpolizeiaußenstelle Singen sein werde.
Dann bat
der Pressesprecher, Aufnahmegeräte und Kameras auszuschalten. Als die ersten Journalisten
mit Murren darauf reagierten, sagte Hauptkommissar Jens Bosch:
»Wir möchten
Sie bitten, nicht mehr, als die von uns soeben bekannt gegebenen Ermittlungsergebnisse
zu veröffentlichen, um Spekulationen zu vermeiden. Es geht nun um einen Punkt, bei
dem wir auf Ihre Hilfe angewiesen sind.«
Die Pause,
die er setzte, diente der Spannung. Linda fing einen kurzen Blick von ihm auf und
glaubte, den Anflug eines Lächelns in seinem Gesicht zu entdecken. Er hatte sie
erkannt. Hat sich nicht verändert, in dem einen Jahr, dachte sie. Jens Bosch fuhr
fort:
»Wir suchen
im Zusammenhang mit diesem Mord nach einem wichtigen Zeugen. Die Sache wird allerdings
dadurch erschwert, dass der Gesuchte aufgrund seiner …«, er zögerte, »… sagen wir
mal – eigenwilligen Beziehung zum Opfer – glauben könnte, wie hielten ihn für den
Täter. In der Tat sprechen auch einige Indizien gegen ihn, aber genau das dürfen
wir ihn nicht wissen lassen. Ich appelliere daher in diesem Fall ganz besonders
an Ihren Ehrenkodex als Journalisten, dies bei der Veröffentlichung des nun Folgenden
zu berücksichtigen. Alles andere gefährdet in hohem Maße unseren Fahndungserfolg.
Können wir da mit Ihrer Hilfe rechnen?«
Es war eine
ungewöhnliche Frage bei einer PK, doch die Journalisten nickten. Jens Bosch fing
auch Lindas Nicken mit seinen Augen ein und sagte dann, den Blick direkt auf sie
gerichtet.
»Wir ziehen
Sie jetzt in unser Vertrauen, meine Damen und Herren. Und ich hoffe, dass wir uns
auf Sie verlassen können. Ich habe da zwar persönlich schon sehr schlechte Erfahrungen
gemacht, was das Vertrauen zu einer Kollegin aus ihrer Zunft angeht, aber schwarze
Schafe gibt es ja bekanntlich in jeder Branche.«
Allgemeines
Gemurmel erhob sich, und Linda hatte das Gefühl, dass sich Köpfe nach ihr umdrehten
und einige Augenpaare sie zu durchbohren schienen.
»Bitte entschuldigen
Sie, dass ich das so deutlich sage, aber da die betreffende Kollegin heute anwesend
ist, muss ich auf Nummer sicher gehen.«
Lindas Augen
suchten nach einer Falltür im Boden, in der sie versinken konnte. Ihre Beine zuckten,
sie wollte aufstehen und den Saal verlassen, doch dann wären auch die Letzten noch
auf sie aufmerksam geworden. Und so blieb sie geduckt wie ein Feldhase in seiner
Sasse auf ihrem Platz sitzen, senkte ihren Blick zu Boden und notierte sich die
Ausführungen des Kommissars. Ihr Inneres kochte vor Wut und Anspannung.
»Wir suchen
im Zusammenhang mit dem Mord an Lene Grandel nach dem wohnsitzlosen Jakob Eberle,
der auch ›Pulle‹ genannt wird. Hier seine Beschreibung – Sie bekommen das aber auch
gleich noch schriftlich von uns: er ist etwa 70 Jahre alt, 1,65 groß und hager.
Er hat lange graue Haare und einen dichten Vollbart, sein Äußeres wirkt ungepflegt.
Er
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