Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)
aufgeschürft,
an manchen Stellen eitrig und von alten Blutungen verkrustet. Seine Fingernägel
waren blutunterlaufen und stark gesplittert. Die Arbeit an den Platinen mit ihren
freiliegenden Schwermetallpartikeln hatte seine Hände zerstört und musste für den
jungen Kerl äußerst schmerzhaft sein.
»Woher bekommt
ihr das Zeug?«
»Meine Leute
bringen es mir von der Halde drüben. Sie bekommen ein paar Nuria dafür. Wir schlachten
alles aus. Hier, siehst du?«
Er fischte
eine Kupferspule aus den Kleinteilen, die neben ihm lagerten.
»Dafür bekommen
wir drüben auf dem Markt mindestens drei oder vier alte Computer. Wenn die Bildröhren
ganz sind, haben wir am nächsten Tag genau so viele Kupferspulen. So funktioniert
das Geschäft!«
»Und der
Rest?«, fragte Alan und zeigte auf eine der zerstörten Bildröhren.
»Holen sich
die Kinder. Die Platinen bringen mir mehr. Blei, Quecksilber.«
»Was machst
du damit?«
»Schmelzen
und verkaufen. Manche lösen die Platinen in Säure auf.«
»Wozu das?«
»Um an das
Gold zu kommen.«
Alan nickte
und sah sich um. Soweit sein Auge reichte, dehnte sich der Elektronikfriedhof. Und
selbst die ausgebeinten und zerlegten Teile wurden noch einmal in die Hand genommen,
vielleicht fand sich ja doch noch ein Chip, den die anderen übersehen hatten oder
ein Stückchen Kupferdraht in einer geschmorten Kabelummantelung.
Joel war
Zwischenhändler, hatte seine Lieferanten auf der Deponie und einen Händler, von
dem er die noch ganzen Geräte bekam. An diesen musste er sich halten, um an weitere
Informationen zu gelangen.
»Wer könnte
wissen, woher die alten PCs kommen?«
»Es wird
dir niemand etwas sagen.«
»Und wenn
ich zahle?«
»Wie viel?«
»Wie viel
verlangst du?«
»Kein Geld.«
»Du willst
nach Europa?«
Der Junge
nickte.
Alan schüttelte
der Kopf. Selbst wenn er es wollte, er hatte keine Chance. Er steckte dem Jungen
zwei große Scheine zu, tippte mit einem Zeigefinger an die Legionärsmütze und wandte
sich zum Gehen.
Ulla folgte
ihm auf dem Weg durch den knisternden und glänzenden Schrott.
»Frag auf
dem Markt von Ikeja nach Harley«, rief ihnen der Junge hinterher. »Wie das Motorrad.
Du wirst seinen Laden finden. Er hat ein großes Schild über der Tür!«
»Danke!«,
rief Alan, doch Joel war schon wieder damit beschäftigt, Kleinteile aus einer Platine
herauszulösen.
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FARG088835 3.
Es war für
Linda Roloff gar nicht so schwer gewesen, den Sinn der Containerbeschriftung auf
dem Foto, das sie in Lene Grandels Wohnung gefunden hatte, herauszubekommen. Ein
bisschen googeln mit Begriffen wie Container, Trucker, Abkürzung und Beschriftung,
und schon hatte sie die Lösung gefunden:
die vier
Buchstaben des so genannten Alphaprefix verrieten verschlüsselt den Eigentümer des
Containers. Die komplette Containernummer mit Eigentümerschlüssel, sechsstelliger
Registriernummer und einer Prüfziffer machte es möglich, die Ladung in jedem Hafen
der Welt aufzutreiben.
Lindas Finger
huschten wieder über die Tastatur ihres Laptops. Das weiße Notizblatt aus dem National-Geographic -Heft
lag neben dem Monitor, und sie hatte herausgefunden, dass sich hinter MV Cayelsa
Star nichts anderes als ein Schiffsname verbarg. MV stand für Motor
Vessel , und Vessel war laut Englischwörterbuch ein maritimer Ausdruck
für Fahrzeug oder Schiff. MV bedeutete also Motorschiff.
Über die
offizielle Homepage von Lagos erfuhr sie den Namen des Hafenviertels der Stadt, Apapa , und loggte sich über WORLD PORT SOURCE auf der Seite der nigerianischen
Häfen ein. Sie stöberte auf den Seiten von Apapa Port, der ihr als größter Hafen
Nigerias und wichtiger Containerhafen auffiel. Doch die Verknüpfung mit dem Schiffsnamen
›MV Cayelsa Star‹ führte zu keinem Ergebnis.
Linda stand
auf und starrte aus dem Fenster. Der Ehrgeiz ließ sie nicht mehr los. Falls sie
mit ihrer Vermutung recht hatte, war Lene Grandel durch Zufall auf den Namen des
Containerschiffs gestoßen, das den Elektroschrott aus dem Kieswerk Reiters nach
Nigeria brachte. Ob das Pulle für sie erschnüffelt hatte oder sie andere Informanten
belieferten, war zunächst unwichtig.
Lene hatte
den Namen notiert und den Zettel in das National-Geographic -Heft gesteckt,
das über den illegalen E-Schrott-Handel berichtete. Folglich war sie sich des Zusammenhanges
bewusst gewesen. Dazu die Aufnahme eines Containers, den sie wohl auf dem Gelände
Reiters fotografiert hatte.
Für Linda
ging es nun darum,
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