Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)
zahlen nix und ich zahle nix für Fahrt.«
»Aber wenn
sie in eine Polizeikontrolle kommen, bist du geliefert.«
»Ich weiß.
Vielleicht wäre für mich beste Lösung. Sie mich dann zurückschicken nach Nigeria.
Aber ich kann nicht, wegen Doudou.«
»Und was
ist mit dem bösen Ju-Ju, von dem du mir erzählt hast?«
»Mahamas
Zauber? Er mich immer findet. Aber seine Strafe auch nicht schlimmer als Hölle bei
Madame. Es ist nicht Ju-Ju, dass ich hier bleibe, es ist Doudou. They know und lassen
Doudou nicht frei.«
Hadés Augen
füllten sich mit Tränen.
»Wir werden
sie finden«, versuchte Linda, sie zu trösten. »Was wirst du tun, wenn wir sie befreit
haben? Wirst du Madame und die Männer anzeigen?«
»I don’t
know. Will ich nur noch fort von hier. Mit Doudou.
Have some money. Um in Lagos zu haben good job. Würde reichen, um mit Doudou zu leben.«
Linda schwieg.
Was war von Hadés Träumen geblieben, was war aus den Versprechungen geworden, mit
denen man sie aus Nigeria weggelockt hatte? Wie viele Frauen in Deutschland teilten
ihr Schicksal? Verschleppt aus der Heimat, auf der Flucht vergewaltigt und dann
zur Prostitution gezwungen?
»Du mich
kannst mitnehmen?«, fragte Hadé und unterbrach Lindas Gedanken. »Besser als mit
Männer in Lastwagen.«
Linda überlegte.
Jens Bosch hatte ihr versprochen, sich mit ihr zu treffen, sobald die Ergebnisse
der Rechtsmedizin aus Freiburg vorlagen. Vielleicht würde sie zu ihm nach Konstanz
fahren. Den Rest des Tages würde sie mit Recherchen verbringen. Um mit Hadé nach
ihrer Tochter zu suchen, mussten sie am frühen Morgen auf das Werksgelände, damit
niemand ihre Anwesenheit bemerkte.
»Okay. Ich
hol dich morgen ab. Meine Handynummer hast du.«
Hadé ergriff
ihre Hand und drückte sie.
42
Nach drei Wochen erreichen
sie die Wüstenstadt Tamenghest, genannt Tam, in Algerien, doch Hadé weiß weder,
dass es drei Wochen sind, noch dass sie die Grenze zu Algerien schon vor Tagen während
eines nächtlichen Gewaltmarsches passiert haben.
Obwohl viele
den Marsch bis hierher nicht überlebt haben, ist die Gruppe nicht kleiner geworden.
Flüchtlingstrecks aus Tessalit, Agadez und I-n-Guezzam sind zu der Karawane gestoßen.
Die Routen nach Europa kreuzen sich hier, Tamenghest oder Tamanrasset ist nicht
nur Touristentreffpunkt für Saharatouren, sondern auch einer der Dreh- und Angelpunkte
der Schlepper , die ihre Lebendware nach Europa bringen.
Hadé zählt
durch ihre Nächte mit Rhissa ag Jebrim zu den Privilegierten. Hier eine Ration Wasser
mehr, dort eine größere Portion Hirse, ein Fladenbrot, der Flügel eines Huhns. Sie
teilt mit ihrer Schwester, die, wie sie, auch stumm unter den Strapazen der Wüste
leidet.
In Tam ahnen
sie, dass es noch schlimmer kommt, denn Rhissa ag Jebrim trägt sein Gewehr jetzt
offen, und auch seine beiden Stammesbrüder und die wenigen nigerianischen Männer,
die Gewehre und Dolche haben, zeigen sich mit ihren Waffen.
Am Tag bevor
die Flüchtlingskarawane die Stadt im Norden der Ténéré erreicht, finden sie die
Leichen von einem Dutzend Afrikaner, die nackt und mit Schussverletzungen in Kopf
und Brust in der Wüste liegen. Der Überfall ist erst vor kurzem erfolgt, die Leichen
sind unversehrt, kein Geier und kein Schakal hat sie angerührt. Rasch breitet sich
Angst unter den Flüchtlingen aus, doch Rhissa ag Jebrim setzt seinen Weg unbeirrt
fort. Ben, der im Besitz eines alten Jagdgewehres ist, marschiert ab jetzt zwischen
Hadé und ihrer Schwester.
»Warum hat
man diese Menschen in der Wüste erschossen?«, fragt Hadé, der die Bilder der nackten
Toten nicht aus dem Kopf gehen.
»Die Menschen
hier glauben, dass bei den Flüchtlingen Geld zu holen ist. Wer sich eine Reise nach
Europa leisten kann, muss reich sein«, antwortet Ben.
»Aber das
stimmt doch nicht!«
»Oh, bei
manchen schon. Bedenke, dass die Führer Geld kosten. Auch wenn wir das nicht selbst
bezahlen, sondern später abarbeiten, sie bekommen das Geld jetzt, von den Trolleys
oder den Boten der Menschenschmuggler.«
»Man hat
den Opfern alles abgenommen, was sie hatten, sogar die Kleider und Schuhe.«
»Ja. Und
wahrscheinlich verkaufen sie es in Tamenghest an die nächsten Flüchtlinge, um auch
diese später wieder zu überfallen und auszurauben.«
»Hör auf,
du machst mir Angst!«
»Es ist
sogar noch schlimmer«, sagt Ben und zieht einen kleinen Gegenstand hervor. »Weißt
du, was das ist?«
Hadé sieht
die beiden dreieckigen Klammern aus Messing in
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