Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)
draußen.
Hadé will
nicht glauben, dass sie Sema nie wieder sieht, sie wartet den ganzen Abend, die
Nacht hindurch, den nächsten Morgen und wieder den ganzen Tag. Und eine weitere
Nacht und einen weiteren Tag. Während ihre Tränen zu salzigen Rinnsalen trocknen,
die sich wie helle Schatten auf der dunklen Haut ausnehmen, vergehen weitere Nächte
und Tage, der Container wird leerer von Tag zu Tag, von Nacht zu Nacht, weil die
Jungen für die Alten bezahlen, und die Frauen ihren Leib zum Opfer bringen für die
Freiheit ihrer Familien. Hadé denkt an die Worte der Männer auf dem Transport nach
Tillabéry.
Die Wolken
haben sich verzogen, doch die Sonne ist noch nicht aufgegangen, als sich die Tür
des Containers wieder öffnet, die beiden Männer diesmal auf sie zeigen, sie an ihren
Armen zerren, bis sie aufsteht, klamm von der kalten Nacht, blind von der Dunkelheit,
die auch der kleine Fensterschacht nicht besiegen kann, und zitternd vor Angst vor
dem Unbekannten, das sie erwartet. Einer der beiden heißt Agim Zoto.
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Hadé hatte Zotos Stimme erkannt.
Der Mann,
dem sie seit zwei Jahren ausgeliefert war. Er war das, was sie einen Trafficker
nannten. Er hatte ihr zu ihrem Asylantrag verholfen und damit ihren Aufenthalt legalisiert.
Und er war ihr erster Freier in Deutschland gewesen.
Doch Agim
Zoto war auch der Mann gewesen, der sie gequält hatte in all den Jahren und der
jetzt auch ihre Tochter verschleppt hatte. Vor wenigen Tagen, als sie versucht hatte,
ihre Tochter zu befreien, hatte sie ihn zuletzt gesehen. Mit Schaudern dachte sie
an diesen Tag zurück.
Von panischer
Angst vor den Hunden getrieben, war Hadé jetzt davongerannt, die Ablenkung der Meute
durch Lindas Anwesenheit vor dem Container hatte ihr dann einen Vorsprung verschafft.
Sie hatte ihre Spuren mit Pfefferspray verwischt und damit tatsächlich die Hunde
außer Gefecht gesetzt.
Dann hatte
sie Zotos Brüllen gehört.
Jetzt blieb
sie außer Atem stehen.
Was sollte
sie tun?
Wo würde
Zoto sie suchen?
Sie hatte
sich einen Weg ins Dickicht gebahnt und sich unter dornigen Ästen, die ihr die Haut
aufritzten, versteckt.
Ihre Gedanken
waren bei Doudou, die spurlos verschwunden war.
»So?«, sagte der Elegante, dessen
AK-47 noch immer auf Alans Brustkorb gerichtet war, »du sucht also einen Mann namens
Mahama?«
Die Männer
scharten sich um ihren Anführer, und Alan sah, dass jetzt jeder von ihnen eine Machete
oder einen Schlagstock trug. Einer der Männer begann, seinen Stock rhythmisch auf
die offene Hand zu schlagen, die anderen nahmen den Takt auf, und bald schon klang
die Abfolge der Schläge wie das Trommeln einer Exekution. Enger und enger schloss
sich der Kreis, näher und näher kamen die Männer.
»Und du
willst Geschäfte mit ihm machen, ja?« Die Stimme des Eleganten strotzte nur so vor
geheuchelter Freundlichkeit. Alan schluckte.
»Man sagte
mir, ich könne hier gebrauchte PCs kaufen«, versuchte er, nachdem die Feindseligkeit
der Männer nicht zu übersehen war. Mannomann, was hatte ihm Linda da eingebrockt!
»Soso, gebrauchte
PCs. Und wer hat dir diesen Tipp gegeben?«
»Eine Freundin.«
»Ach ja.
Eine Freundin. Sicher die, die dich auch beauftragt hat, Container zu fotografieren
und ihr das Foto zu senden?«
Plötzlich
war jeder Hauch von Freundlichkeit verschwunden.
Verdammt!
Was war hier schief gelaufen? Woher wusste dieser Typ davon? Wo war Lindas Nachricht
abgefangen worden?
»Los packt
ihn und poliert ihm die Fresse! Er soll wissen, was es heißt, hinter Mahama rumzuschnüffeln!«,
befahl der Elegante.
Alan wich
instinktiv zurück, doch er wusste, dass er nach wenigen Metern von der Mauer aufgehalten
würde. Seine Kehle war trocken, dafür stand der Schweiß auf seiner Stirn. Selbst
er, der erfahrene Buschläufer, der sich zu Fuß weder vor einer Herde Kaffernbüffel
noch vor der schwarzen Mamba fürchtete, hatte hier keinen Ausweg parat. Hier halfen
kein Trick und keine Waffe.
Die Meute
der Angreifer war zu groß, ihre Übermacht machte jeden Widerstand zwecklos.
»Du hast sie eingesperrt? Im Container?
Ja hast du sie denn noch alle?«
Horst Reiter
tobte, knallte die Faust auf den Schreibtisch, und seine Stimme überschlug sich,
als er schrie:
»Und die
Schwarze laufen lassen? Was ist, wenn die zur Polizei geht?«
»Das macht
die nicht, weil sei dann abgeschoben wird!«
»Ach nein?
Du Klugscheißer! Mann, die Bullen nehmen gerade unseren Fuhrpark auseinander! Weißt
du, was das bedeutet? Wenn
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