Verschlüsselte Wahrheit - Inspektor Rebus 05
Herzschlag gekriegt hat. Man musste ihm vom dritten Steg runterhelfen.«
Rebus zählte drei Stege nach oben. »Ein bisschen wie bei Dante, was?«, sagte er mit einem Zwinkern zu Burns.
»Der alte Knabe sagt, es sei ein Unfall gewesen.«
»Natürlich tut er das.«
»War es aber nicht.«
»Natürlich nicht.«
»Ich hab ein Dutzend Zeugen, die sagen, er ist gesprungen.«
»Ein Dutzend Zeugen«, korrigierte Rebus, »die ihre Meinung ändern werden, sobald ihre Jobs auf dem Spiel stehen.«
»Aye, mag sein.«
Rebus holte tief Luft. Er hatte diesen Hopfengeruch immer gemocht, doch er wusste, dass er ihn von nun an anders wahrnehmen würde.
»Der Herr gibt’s, und der Herr nimmt’s«, sagte Burns. »Was ist übrigens mit Ihrem Bein passiert?«
»Eingewachsene Zehennägel«, antwortete Rebus. »Der Herr hat sie gegeben, und das Krankenhaus hat sie genommen.«
Burns schüttelte gerade den Kopf über diese Blasphemie, als im Gebäude hinter ihnen ein Fenster geöffnet wurde.
»Sie!«, brüllte Broderick Gibson. »Sie haben ihn umgebracht! Sie waren es!« Sein krummer Finger, ein Finger, den er anscheinend nicht mehr gerade kriegte, war mehr oder weniger auf Rebus gerichtet. Seine Augen waren wie nasses Glas, sein Atem ging keuchend. Jemand hatte ihm die Hände auf die Schultern gelegt und versuchte, ihn sanft dazu zu bewegen, ins Büro zurückzukehren. »Das bleibt nicht ungesühnt!«, rief er Rebus zu. »Denken Sie an meine Worte. Der Tag der Abrechnung wird kommen!«
Der alte Mann wurde schließlich nach drinnen gezogen und das Fenster geschlossen. Die Arbeiter schauten zu den beiden Polizisten herüber.
Das war’s dann also. Aengus Gibson hatte Tarn Robertson erschossen, und nun war Aengus tot. Ende der Geschichte. Rebus fiel spontan eine Person außerhalb von Aengus’ Familie ein, die sehr bestürzt sein würde: Big Ger Cafferty. Cafferty hatte Black Aengus beschützt, ihn vielleicht sogar erpresst und die ganze Zeit auf den Tag gewartet, an dem der junge Mann die Brauerei übernehmen würde. Mit Aengus’ Tod fiel das ganze Kartenhaus zusammen. Und das war auch gut so.
Trotzdem gab es keine Möglichkeit, an Cafferty heranzukommen, ihn zur Verantwortung zu ziehen.
Zu Hause erwartete Michael ihn mit ein paar Neuigkeiten.
»Die Ärztin hat versucht, dich zu erreichen.«
»Welche? Ich hatte in letzter Zeit mit mehreren zu tun.«
»Dr. Patience Aitken. Sie scheint zu glauben, dass du ihr aus dem Weg gehst. Offenbar funktioniert diese Taktik also.«
»Das ist keine Taktik. Ich hatte in letzter Zeit nur den Kopf so voll.«
»Wenn du so weitermachst, weißt du irgendwann nicht mehr, wer du bist.« Michael lächelte. »Sie hört sich übrigens nett an.«
»Sie ist nett. Ich bin das Arschloch.«
»Dann geh sie doch besuchen.«
Rebus ließ sich auf das Sofa plumpsen. »Mach ich vielleicht auch. Was liest du da?« Michael zeigte ihm den Einband. »Schon wieder ein Buch über Hypnotherapie. Du musst dieses Gebiet doch bald abgegrast haben.«
»Ich hab gerade mal hineingerochen.« Michael hielt inne. »Ich werde an einem Kurs teilnehmen.«
»Oh?«
»Ich möchte Hypnotherapist werden. Schließlich weiß ich ja, dass ich Leute hypnotisieren kann.«
»Du kriegst sie jedenfalls dazu, die Hose runterzulassen und wie ein Hund zu bellen.«
»Genau; wird allmählich Zeit, dass ich etwas Nützlicheres damit anfange.«
»Es heißt doch, Lachen ist die beste Medizin.«
»Lass den Quatsch, John, es ist mir ernst. Außerdem werde ich wieder zu Chrissie und den Kindern ziehen.«
»Oh?«
»Ich hab mit ihr gesprochen. Wir haben beschlossen, es noch mal zu versuchen.«
»Klingt romantisch.«
»Wenigstens einer von uns beiden muss doch eine kleine romantische Ader haben.« Michael nahm das Telefon und hielt es Rebus hin. »Und jetzt rufst du die Ärztin an.«
»Ja, Sir«, sagte Rebus.
Broderick Gibson war ein einflussreicher Mann, das konnte man nicht abstreiten. Am Mittwochmorgen berichteten die Zeitungen von dem »tragischen Unfall« in der Gibson-Brauerei bei Fountainbridge, Edinburgh. Es gab Fotos von Aengus, einige aus seiner Black-Aengus-Zeit, andere im gewandelten Outfit auf Wohltätigkeitsveranstaltungen. Von Selbstmord hörte man nichts. Wieder einmal hatte Aengus’ Vater etwas vertuscht, die Wahrheit verzerrt. Das war offenbar mit den Jahren für ihn zur Routine geworden.
Um zehn Uhr fünfzehn erhielt Rebus einen Anruf. Es war Chief Superintendent Watson.
»Hier ist jemand, der Sie sprechen
Weitere Kostenlose Bücher