Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
möglichst unvorbelastet hinschauen würden, wäre mir das eine große Hilfe. Sie hatte keine Papiere bei sich. Man hat ihre Fingerabdrücke genommen, aber die sind nirgendwo gespeichert. Man wird ihren Zahnstatus erheben und die Liste vermisster Personen durchgehen. Aber wenn man wüsste, dass sie dort war, wo Sie die beiden Personen beobachtet haben, wenn man wüsste, dass sie mit dem Mann zusammen war, den Sie beobachtet haben, wäre das schon mal viel wert.«
Reece sah ihm unverwandt in die Augen. »Sie haben mir vorher nie geglaubt. Sie haben mir nicht geglaubt, dass ich gesehen habe, was ich gemeldet habe, ja nicht einmal, dass dort überhaupt Leute waren.«
»Ich hatte so meine Zweifel, das muss ich zugeben. Aber das heißt nicht, dass ich keine Nachforschungen angestellt hätte, und ich habe auch nicht vor, damit aufzuhören.«
»Na gut.« Und diesmal streckte sie die Hand nach dem Foto aus. Der Schock hatte nachgelassen, sodass sie das Gesicht inzwischen mit Mitleid betrachten konnte. »Ich weiß es nicht. Es tut mir leid. Ich wünschte, ich könnte sagen, das ist die Frau, die ich gesehen habe, aber das kann ich nicht. Ich glaube, sie war älter als diese hier, und ihr Haar war länger, ihr Gesicht schmaler, aber ich bin mir nicht sicher. Wenn ich ein Foto von ihr sehen könnte, nachdem man sie identifiziert hat, eines, auf dem sie zu sehen ist, bevor man ihr das angetan hat, könnte ich eine wesentlich klarere Aussage machen.«
»Okay.« Er nahm das Foto zurück, legte eine Hand über die ihre und drückte sie. Es fühlte sich an, als habe sie ihre Hand in ein Eisfach gesteckt. »Ich weiß, wie schwer das für Sie war. Möchten Sie ein Glas Wasser?«
»Nein, danke.«
»Sobald man sie identifiziert hat, zeige ich Ihnen ein weiteres Bild. Vielen Dank, dass Sie gekommen sind. Ich werde Sie von Denny nach Hause bringen lassen.«
»Ich dachte, er ist im Einsatz.«
»Ich fahre Sie selbst.«
»Ich kann laufen.« Aber als sie sich erhob, hatte sie ganz wackelige Knie. »Oder vielleicht doch nicht.«
»Ich werde Sie heimfahren. Wollen Sie hier noch kurz verschnaufen?«
Reece schüttelte den Kopf. »Angenommen, Sie haben Recht. Angenommen, sie hat an jenem Tag noch gelebt. Warum sollte sie dann bei ihm bleiben? Warum sollte sie freiwillig bei ihm bleiben, obwohl er versucht hat, sie umzubringen?«
»Manche Dinge durchschaut man nie. Hank, ich fahre Reece nach Hause. Vielleicht irre ich mich ja auch«, fügte Rick hinzu, als er seinen Hut vom Haken nahm und die Tür aufmachte. »Vielleicht hat das hier überhaupt nichts mit dem zu tun, was Sie letzten Monat beobachtet haben. Aber so wie Sie die Dinge beschrieben haben, stehen die Chancen nicht schlecht.«
»Sie wurde nicht als vermisst gemeldet, weil sie mit ihm zusammen war, und er würde sie nicht als vermisst melden. Oder hat es zumindest nicht.«
»Kann sein.«
Sie stieg in den Wagen und ließ ihren Kopf gegen die Kopfstütze fallen. »Ich wünschte, ich wäre mir sicher, dass es dieselbe Frau ist. Es wäre wesentlich einfacher, wenn ich nur Ja zu sagen bräuchte: Ja, das ist sie. Dann wäre die Sache für mich endlich vorbei.«
»Sie sollten jetzt wieder an etwas anderes denken, wenigstens im Moment. Lassen Sie die Polizei ihre Arbeit machen.«
»Ich wünschte, das wäre so einfach.«
Als er vor dem Joanie’s hielt, sah Reece auf und bemerkte, wie Brody aus ihrem Hauseingang kam.
Als er sie in dem Streifenwagen entdeckte, sprang er eilig die Stufen hinunter.
»Was ist los? Was ist passiert?«
Er sah überaus besorgt aus – so kannte sie ihn gar nicht. Ihr Innerstes zog sich zusammen. »Man hat die Leiche einer Frau gefunden, und ich habe mir Fotos angesehen. Ich weiß nicht, ob sie es war. Ihr Gesicht war zu verwüstet. Ich glaube nicht, dass es die Frau ist, die ich gesehen habe, aber …«
»Sie wurde unweit von Moose Ponds im Sumpf gefunden«, sagte Rick und stieg aus dem Wagen.
»Ich setz mich nur mal kurz auf die Treppe, bevor ich wieder reingehe. Ich brauche frische Luft.« Reece ging zu den Stufen und ließ sich schwer darauf fallen.
»Ein weibliches Opfer«, flüsterte Rick Brody zu. »Lange, dunkle Haare. Würgemale. Zusammengeschlagen, vergewaltigt. Vielleicht ertränkt. Der Leichenbeschauer nimmt gerade die Autopsie vor. Kinder haben sie gefunden. Nackt, ohne Papiere, keinerlei Kleider in der näheren Umgebung.«
»Sie wurde gerade eben gefunden?«
»Gestern. Ich habe erst heute davon erfahren und Fotos vom Fundort
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